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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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mochte er auch nicht.
    Â»Ãœberlebende haben es ihren Kindern erzählt«, sagte er.
    Â»Die es dann ausschmückten und zurechtbogen. Du weißt doch, wie so was funktioniert.«
    Â»Aber wenn ich reite«, sagte Neil und seine Stimme bekam einen rauen Klang, »dann ist es, als wäre ich dabei gewesen. Ich brauche keine Geschichtsbücher und keine Berichte von Überlebenden. Ich kann am eigenen Leib spüren, wie sie hungerten und froren, wie sie sich um ihre Kinder sorgten und auf einen Ort hofften, an dem sie bleiben und den Winter verbringen konnten.«
    Â»Ja«, sagte ich. »Mir geht es genauso.«
    Â»Sie haben auch Träume gehabt«, sagte Neil leise. »So wie du und ich, Tally.«

27. Kapitel
    Am sechsten Tag des Rittes, es war der 21. Dezember, erreichten wir Cherry Creek unweit des Cheyenne River. Es dämmerte schon, als wir hungrig und müde auf unseren erschöpften Pferden den Hügel herunterkamen. Ich sah die erleuchteten Holzhäuser und drei Tipis, die man für uns errichtet hatte. Mehrere Feuer brannten, und der Klang einer Trommel hieß uns willkommen.
    Ein ungläubiger Schreck durchzuckte mich, als ich den Ort wieder erkannte. Den Lauf des Baches im Tal, der die Form eines umgedrehten S hatte. Die Tipis und den verkrüppelten Stamm des toten Baumes, der seine kahlen Äste wie Geisterfinger in die Höhe streckte.
    Das war der Ort, den ich letzten Winter in meinem Traum gesehen hatte. Jenem Traum, den Tom Thunderhawk als Vision beszeichnet hatte. Konnte es so etwas geben? Ich dachte daran, was Tom mir von den Geistertänzern erzählt hatte, und wäre kaum verwundert gewesen, wenn ich sie am Feuer hätte tanzen sehen.
    Diesmal gab es kein großes Farmhaus und keine warmen Gemeinderäume mit sanitären Anlagen. Die Schlafplätze waren auf einige der Häuser, auf die Tipis und die Wohnanhänger verteilt. Ein paar ganz Hartgesottene erklärten sich bereit, in den Pferdetrailern zu übernachten.
    Nach dem Abendessen, das aus Büffelgulasch, Kartoffeln und Wackelpudding zum Nachtisch bestand, gingen viele der jüngeren Kinder schlafen, denn es war ein harter Tag gewesen. Einige hatten sich kleinere Verletzungen zugezogen: gequetschte Finger, aufgerissene Lippen und aufgeriebene Schenkel vom langen Reiten. Die Verletzten wurden von einer netten Frau aus Cherry Creek versorgt, die als Krankenschwester in einem Hospital arbeitete.
    Obwohl es eine sternenklare Nacht war und ich wusste, dass es sehr kalt werden würde, beschloss ich, in einem der Tipis zu schlafen, denn auch in meinem Traum hatte ich mich in einem Tipi befunden. Und nun hoffte ich, herauszufinden, was er bedeutete.
    Â»Heute Nacht werden es bestimmt 15 Grad unter null«, sagte Neil und sah mich skeptisch an. »Bist du dir sicher, dass du im Tipi schlafen willst, Tally? In einem der Häuser ist noch Platz. Ich habe mich eben dort gewaschen und es gesehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will im Tipi schlafen. Es ist wichtig für mich.«
    Â»Ich glaube, die Geister deiner Vorfahren werden es dir verübeln, wenn du erfrierst, nur um ihnen nahe zu sein«, bemerkte Neil spöttisch.
    Was wusste er denn über die Geister meiner Vorfahren. Ich zuckte die Achseln. »Ich erfriere schon nicht. Im Tipi brennt schließlich ein Feuer.«
    Â»Aber am Feuer wird kein Platz mehr sein.«
    Â»Du kannst ja ins Haus gehen«, sagte ich und ließ ihn stehen.
    Als ich mit meinem Schlafsack ins Tipi stieg, sah ich, dass Neil für uns doch noch ein Plätzchen am Feuer ergattert hatte.
    Â»Zufrieden?«, fragte er lächelnd, als ich mich neben ihn legte.
    Â»Ja«, sagte ich. »Danke.«
    Einige schliefen schon, aber ein paar Erwachsene unterhielten sich noch, und ab und zu legte jemand einen Holzscheit ins Feuer. Während ich, die leise murmelnden Stimmen im Ohr, in den Schlaf hinüberdämmerte, fand ich mich auf einmal in meinem Traum wieder. Ich sah den Lauf des Baches, wie er als schwarzes, umgedrehtes S die mondbeschienene, verschneite Landschaft durchschnitt. Ich sah erleuchtete Tipis und ein großes Feuer, das hoch in den Nachthimmel loderte und Funken zu den Sternen schickte. Um das Feuer, zum Klang einer großen Trommel, tanzten Männer und Frauen in Lederhemden, die mit wunderschönen Motiven bemalt waren.
    Im Schein der Flammen erkannte ich die Gesichter der Tanzenden, sah ihre Entschlossenheit, ihren

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