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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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erkennen.
    Neil führte Psitó in ein kleines Tal hinunter, und ich musste mich weit zurücklehnen, um an ihm dranzubleiben und die Bewegungen der Stute auszugleichen. Jetzt spürte ich die Vertiefung hinter Psitós Schulterblatt, von der er vorhin gesprochen hatte, ganz deutlich.
    Â»Die Pferdeherde der Nez Perce wuchs schnell auf mehr als tausend Tiere an, und sie war der ganze Stolz des Stammes«, fuhr Neil fort. »Aber dann wurden auch die Nez Perce von den Weißen gezwungen, ihre angestammte Heimat zu verlassen und in ein Reservat umzusiedeln. Ihr Häuptling erbat sich Zeit bis zum Herbst, weil viele Fohlen in der Herde noch zu klein waren, um die schwierige Reise anzutreten. Aber die Nez Perce bekamen keinen Aufschub. Auf ihrem Weg ins Reservat waren sie gezwungen, einen eiskalten und reißenden Fluss zu überqueren, der vierhundert Meter breit war. Die meisten ihrer Pferde ertranken darin. Darunter beinahe alle trächtigen Stuten und viele Fohlen.«
    Ich hatte Neil stumm gelauscht, und nun war meine Kehle wie zugeschnürt. Vor meine Augen sah ich hunderte Pferde, die verzweifelt versuchten gegen eine reißende Strömung anzukämpfen. Hübsche Fohlen wie Stormy, die in den kalten Fluten keine Chance hatten. Und warum das alles?
    Â»Wenn sie alle ertrunken sind«, fragte ich nach einer Weile, »wie kommt es dann, dass es noch Appaloosas gibt?«
    Â»Die Nez Perce rächten sich bitter für den Verlust ihrer Pferde und ihres Stolzes. Daraufhin wurden sie gnadenlos verfolgt. Als die letzten kapitulierten, sperrte man sie ein und beschlagnahmte ihre Pferde. Es waren Weiße, die mit den verbliebenen Appaloosa-Pferden eine neue Zucht aufbauten.«
    Neil stieß grimmig Luft durch die Zähne. »Erst blind vernichten und dann retten, was übrig geblieben ist. Das ist typisch für die Weißen.« Keine Ahnung, ob er wusste, dass meine Mutter eine Weiße war, auf jeden Fall schien er die Wasicún, wie wir Lakota die Weißen nennen, nicht besonders zu mögen. Mein letztes bisschen Hoffnung, dass Neil sich vielleicht doch für mich interessieren könnte, schwand auf einmal. Nach seinem Vortrag über Appaloosapferde sagte er nichts mehr und er fragte auch nichts. Wer ich war und was ich dachte, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren.
    Wieder vor der Scheune angelangt, glitt Neil vom Pferd und half mir herunter. Wenn ich direkt vor ihm stand, reichte ich ihm nur bis zum Kinn, und so brauchte ich ihm wenigstens nicht in die Augen zu schauen.
    Â»Danke«, sagte ich, »das war toll. Aber jetzt muss ich vor zur Straße. Mein Vater kommt sicher gleich.« Ich wandte mich um und sprintete los.
    Â»Hey«, rief Neil mir hinterher. »Kommst du morgen wieder?«
    Verwundert blieb ich stehen und drehte mich noch einmal zu ihm um. »Soll ich denn?«
    Er zuckte die Achseln. »Das liegt ganz an dir. Ich bin jedenfalls da.« Er grinste. »Und die Pferde auch.«
    Â»Okay«, stieß ich hervor. »Dann tschüss bis morgen.«
    Â»Tóksâ«, rief er mir hinterher.
    Meinem Vater erzählte ich nichts davon, dass ich ohne Sattel auf Psitó geritten war, mit Neil Thunderhawks Armen um meine Hüften und seinem Herzschlag im Rücken. Das bereitete mir einige Bauchschmerzen, denn bisher hatte ich meinem Vater immer alles erzählt. Einen Grund, ihm etwas zu verheimlichen, hatte es nie gegeben.
    Aber diesmal hatte ich das ungute Gefühl, dass er Bedenken haben könnte, wenn er wüsste, bei wem und vor allem: wie ich heute meine Reitstunde genommen hatte. Auf dem Nachhauseweg fragte er aber nur, ob ich Fortschritte machte, Details wollte er keine wissen. Darüber war ich froh.
    Dad war mit dem Bau des Waschsalons beschäftigt und hatte den Kopf voll mit Dingen, die er beachten musste. Zum Glück. Sonst hätte er längst gemerkt, was mit mir los war.
    Die Aufregung dehnte sich in mir, schob die verwirrenden Gefühle hin und her, sodass ich zu platzen drohte, wenn ich mein Erlebnis nicht so bald wie möglich jemandem erzählen konnte.
    Kaum war Dad wieder nach Manderson gefahren, rannte ich hinauf zu Adena, die hinter dem Haus Wäsche auf eine Leine knüpfte. Ich half ihr dabei, damit sie schneller fertig wurde und wir uns aus dem Lauschbereich von Jason, der Nervensäge, begeben konnten. Wir rannten um die Wette den Berg hinauf, bis wir ganz oben angelangt waren.
    Â»Was ist denn bloß los

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