Talitha Running Horse
einmal unser Zuhause gewesen war.
Meine Tante war wie immer wenig erfreut, als sie uns sah. Als Dad ihr erzählte, was vorgefallen war, wurde sie bleich, denn ihr war klar, dass sie uns bei sich aufnehmen musste. Sie konnte dazu nicht Nein sagen. Tante Charlene war unsere einzige Verwandte. Wenn sie uns fortschickte, würden die Leute im Reservat nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Das wusste sie, und so bekamen wir ein Zimmer im Keller, das Onkel Frank vor drei Jahren ausgebaut hatte, damit er sich gelegentlich zurückziehen konnte.
Tante Charlene hatte das Zimmer seit dem Tod ihres Mannes als Rumpelkammer benutzt, und so mussten wir erst mal gründlich aufräumen und putzen. Das war nun unser neues Zuhause: ein Raum im Keller mit zwei kleinen Fenstern dicht unter der Decke, einem breiten Bett, einem Kleiderschrank, einem Holztisch und zwei Stühlen. Nichts davon gehörte uns. Ein Pick-up-Truck und die Kleider, die wir am Leibe trugen â das war alles, was uns geblieben war.
Irgendwann am Abend kam Marlin nach Hause. Als er hörte, dass wir nun Untermieter in seinem Haus waren, verschlug es ihm erst einmal die Sprache, und er verzog sich sofort in sein Zimmer.
Als ich nach dem Duschen aus dem kleinen Bad kam, das es im Keller gab, hörte ich Dad mit Tante Charlene streiten. »Sie hat alles verloren«, sagte er. »Die Katze und ihre Kleinen werde ich ihr nicht auch noch wegnehmen.«
»Aber ich habe Hunde«, sagte Charlene. »Scooter und Rip werden die Katze jagen und die Kleinen töten.«
Ich wusste, dass sie Recht hatte. Ich ging ins Kellerzimmer, setzte mich aufs Bett und streichelte Miss Lilly, die in ihrem Karton lag und die Kleinen säugte. Was soll nur aus euch werden?, dachte ich. Was soll nur aus uns werden?
Der nächste Tag war ein Samstag. Dad und ich frühstückten gemeinsam in Charlenes Küche, während sie schon nebenan vor dem Fernseher hockte. Marlin erschien ebenfalls und machte sich Toast mit Marmelade zum Frühstück. Mir gefiel der Blick nicht, mit dem er mich ansah, aber er traute sich nicht, dumme Bemerkungen zu machen. Vor meinem Dad hatte er Respekt.
Trotzdem war mir klar, dass schreckliche Zeiten bevorstanden. Marlin würde seine Boshaftigkeit an mir auslassen, sobald er Gelegenheit dazu hatte. Ich würde mir ein dickes Fell zulegen müssen. Ein sehr dickes.
Wir waren mit dem Frühstück fertig, und ich machte mich daran, das Geschirr zu spülen, als drauÃen ein Auto vorfuhr. Es waren Nellie White Elk und Adena. Nellie zog die Schiebetüren ihres alten Vans auf. Der Laderaum war voller Kisten.
»Ich hab gestern Abend noch ein bisschen herumtelefoniert«, sagte sie und lächelte, als Dad sie fragend ansah. »Da sind ein paar Sachen, die ihr bestimmt gebrauchen könnt. Was ihr nicht braucht, bringt einfach rüber nach Manderson ins Gemeindehaus.«
»Danke, Nellie«, sagte Dad. »Das ist wirklich sehr nett von dir.«
Nellie lud die Kisten aus dem Van, und Adena, Dad und ich trugen sie in den Keller. Die letzte Kiste brachte Nellie selbst herunter.
»Nicht gerade eine Nobelherberge«, stellte sie fest, nachdem sie sich umgesehen hatte. »Aber ihr seid wenigstens nicht obdachlos.« Mein Vater nickte. »Ja, es ist in Ordnung. Trotzdem werde ich zusehen, dass wir schnell wieder eine eigene Bleibe haben. Mit Charlene ist kein leichtes Auskommen, und sie wird froh sein, wenn sie uns so bald wie möglich wieder loswird.«
»Ich habe auch einen Job für dich«, sagte Nellie, als die beiden die Kellertreppe hinaufstiegen. »In Kyle in der Schulbibliothek brauchen sie neue Regale. Ich hab gesagt, du kannst welche bauen.«
»Okay, ich melde mich dort«, hörte ich Dad sagen.
Adena streichelte die kleinen Kätzchen und blickte sich um. »Ist ziemlich dunkel hier unten«, sagte sie. »Aber vielleicht gewöhnt man sich ja daran.«
»Mir wird gar nichts anderes übrig bleiben,«, sagte ich.
»Alles in Ordnung mit dir?« Adena sah mich an, mit einem vorsichtigen Blick, als hätte sie Angst, zu hören, wie es mir wirklich ging.
»Es geht mir nicht besonders gut«, sagte ich, »aber ich komme schon klar.«
»Hat Marlin was Blödes gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis er loslegt. Er guckt schon immer so komisch.«
»Ich wünschte, ich könnte dir
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