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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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war. Wir frühstückten zusammen, dann fuhr er los. Meistens sahen wir uns erst am Abend wieder.
    Tante Charlene kam irgendwann gegen 9 Uhr aus dem Bett, trank viel Kaffee und aß etwas, dann fuhr sie entweder mit dem Auto irgendwohin oder sie setzte sich vor den Fernseher. Am Sonntag fuhr sie regelmäßig nach Manderson in die Kirche, wo ein weißer Priester predigte.
    Marlin schlief bis in die Mittagszeit, dann schaufelte er Toast oder Pizza in sich hinein und verschwand meistens für den Rest des Tages. Manchmal sah ich ihn an der Straße stehen und warten. Dann hielt der gelbe Thunderbird mit fehlenden Fensterscheiben, aus dem laute Rapmusik dröhnte, und er stieg ein. Oft kam er erst spät in der Nacht wieder und manchmal war er betrunken.
    Wenn Tante Charlene es mitbekam, dann schrie sie ihn an, aber Marlin schien sie nicht zu hören. Er schenkte seiner Mutter keine Beachtung, nicht einmal dann, wenn sie versuchte vernünftig mit ihm zu reden.
    Â»Ich glaube, dass Marlin unglücklich ist«, sagte Dad einmal zu ihr. »Versuch einfach Geduld mit ihm zu haben und sei da, wenn er dich braucht.«
    Â»Du willst mir etwas über Erziehung erzählen«, erwiderte sie ärgerlich. »Marlin braucht einen Vater, aber sein Vater ist tot.«
    Â»Er braucht dich«, sagte Dad, und da wurde sie noch wütender.
    Â»Glaubst du, dass es einfach ist, so allein zurechtzukommen? Ich versuche mein Bestes, aber Marlin treibt sich den ganzen Tag mit irgendwelchen zwielichtigen Leuten herum. Er beklaut mich, wo er kann, und schwänzt die Schule. Er wird seinen Abschluss nicht schaffen.«
    Â»Du bist ja jetzt nicht mehr allein, Charlene«, sagte mein Vater ruhig. »Soll ich mal mit Marlin reden? Ich bin sein Onkel.«
    Â»Mit Marlin kann man nicht reden, Rich«, erwiderte Charlene. »Seine neuen Freunde haben ihn endgültig verdorben.«
    Später, als ich noch einmal in die Küche ging, um mir einen Becher Wasser zu holen, hörte ich meine Tante in ihrem Zimmer weinen.
    Meine Mutter war nie gut mit Tante Charlene ausgekommen. Ich hatte sie streiten hören, wann immer sie aufeinander trafen. Onkel Frank hatte meine Mutter respektiert, aber Tante Charlene hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die weiße Frau ihres Schwagers nicht mochte.
    Als meine Mom uns dann verlassen hatte, erzählte Charlene überall: »Ich habe ja gleich gesagt, dass die es nicht lange im Reservat aushalten wird. Geht weg und lässt ihr Kind hier. Was ist das für eine Mutter?«
    Großvater Emmet hatte Charlene manchmal Wiya Nupa,die Frau mit den zwei Gesichtern, genannt. Eine Wiya Nupa gilt als liederlich und zänkisch. Ich fand, der Name passte ganz gut auf meine Tante.
    Obwohl meine Mutter schon so lange fort war, ließ Charlene mich nicht damit in Ruhe. Eines Abends fragte sie mich, ob ich tatsächlich nie wieder etwas von meiner Mutter gehört hätte.
    Diese Frage musste ich ihr mit Nein beantworten.
    Da schüttelte sie mitleidig den Kopf und sagte: »Vielleicht würde sie euch helfen, wenn sie wüsste, was passiert ist. Aber dein Vater ist ja so furchtbar stolz.«
    Später, als Dad und ich in unserem Bett im Kellerzimmer lagen, fragte ich ihn nach meiner Mutter, und ob er wüsste, wo sie heute lebte. »Du hast mich immer nur gefragt, ob deine Mom sich gemeldet hat, Tally«, sagte er. »Und ich habe dir die Wahrheit gesagt: Sie hat sich nie gemeldet.«
    Â»Aber du weißt, wo sie lebt?«
    Â»Ihre Eltern besaßen ein Weingut in Kalifornien. Die Adresse ist mit all unseren anderen Sachen verbrannt. Aber ich könnte sie herausbekommen, wenn du das möchtest.« Er schwieg eine Weile, dann fragte er: »Möchtest du, dass ich mit deiner Mutter Kontakt aufnehme?«
    Ich dachte darüber nach. Wollte ich das? Mit Sicherheit würde es mein Leben noch mehr durcheinander bringen. Wo es doch schon vollkommen durcheinander war. Und es würde auch für meinen Vater eine schwierige Angelegenheit werden. Ich ahnte, dass er Angst hatte. Angst, mich zu verlieren.
    Â»Nein«, sagte ich. »Vielleicht später einmal. Aber erzähl mir von ihr. Warum hast du dich in sie verliebt?«
    Er dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Deine Mom war ein unbeschwerter, fröhlicher Mensch, und ihre Art imponierte mir. Außerdem war sie sehr hübsch und hatte ein ansteckendes Lachen. Sie kam nach Pine Ridge, weil sie hoffte,

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