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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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und zog mich weiter. »Na komm! Bis zu den Zelten ist es noch ein ganzes Stück zu laufen, und es ist schon spät.«
    Im Camp saßen noch einige am Lagerfeuer, aber die meisten hatten sich bereits schlafen gelegt. Der Sonnentanz würde in aller Frühe beginnen, und alle wollten munter sein, um dem Einzug der Tänzer zuzusehen.
    Ich fragte herum und machte eine ältere Frau ausfindig, die bereit war, Adenas Schlafsack und ihre Sachen mit dem Auto noch zur Moonlodge zu bringen.
    Vor dem Zelt wünschte ich Neil eine gute Nacht.
    Â»Ja«, sagte er. »Schlaf du auch gut!«
    Aber Neil ging nicht. Er stand einfach nur da, schob die Hände in die Hintertaschen seiner Jeans und sah mich an.
    Â»Hast du jemanden, der dich morgen früh mit auf den Platz nimmt?«, fragte er schließlich.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Soll ich dich mitnehmen?«
    Â»Du?«
    Â»Ja. Ich fahre mit Dads Pick-up.«
    Â»Okay«, sagte ich.
    Â»Soll ich dich wecken?«
    Â»Ja.« Ich bückte mich, um ins Zelt zu kriechen.
    Â»Talitha?«
    Ich sah fragend zu Neil auf. »Ja?«
    Aber dann sagte er nur: »Ach nichts«, und ging davon.
    In der Nacht hörte ich die donnernden Hufe der Pferde, wie sie beim Laufen den Boden unter sich zum Vibrieren brachten. Als mich der Ruf einer Trommel im Morgengrauen weckte, wusste ich nicht mehr, ob es Wirklichkeit gewesen war oder Traum. Ich schlug die Augen auf. Leise Stimmen aus den Nachbarzelten drangen an meine Ohren. So mochte es früher gewesen sein, in den Tipilagern unserer Vorfahren. Fehlte nur das leise Schnauben der Pferde.
    Der Gesang einer Männerstimme setzte ein, die auf Lakota den Tag begrüßte und dazu aufrief, sich auf den Weg zum Sonnentanzplatz zu begeben, um beim Einzug der Tänzer in den Heiligen Kreis dabei zu sein.
    Ich schlüpfte in meine Sachen und kroch nach draußen, um auf die Toilette zu gehen. Die ersten waren schon auf den Beinen und der Duft von frischem Kaffee zog mir in die Nase.
    Auf der Ladefläche des Pick-ups stand unser Wasserkanister. Ich trank ein paar Schlucke, dann wusch ich mich und putzte meine Zähne. Vor dem Seitenspiegel bürstete ich mein Haar und flocht es zu einem Zopf, als ich hörte, wie jemand undeutlich meinen Namen rief.
    Suchend blickte ich mich um. Es war Neil, der auch gerade dabei war, sich die Zähne zu putzen. Mit einer Hand hielt er seine Zöpfe fest, damit sie ihm nicht vor der Nase herumbaumelten. Weißer Schaum tropfte ihm von den Mundwinkeln. Ich musste lächeln über seinen Anblick.
    Er spuckte auf die Erde und spülte seinen Mund mit Wasser sauber. »Bist du fertig?«, fragte er. »Können wir losfahren?«
    Â»Ja«, erwiderte ich. »Ich bin gleich so weit.«
    Ich kroch noch einmal ins Zelt, holte meinen kleinen Rucksack heraus und schloss hinter mir den Eingang. Am Kanister füllte ich meine Wasserflasche, verstaute sie im Rucksack und lief hinüber zu Neil.
    Mit dem Pick-up-Truck seines Vaters fuhren wir hinauf zum Sonnentanzplatz. Vor uns und nach uns noch andere, die den Einzug der Tänzer nicht verpassen wollten. Neil war sechzehn und konnte seinen Führerschein noch nicht lange haben. Aber er fuhr gut, das musste ich ihm lassen. Ruhig und sicher lenkte er den Pick-up über die holprige Piste.
    Oben, auf dem Plateau, sah ich in der Morgendämmerung die Pferde grasen. Es war ein Moment des Glücks. Der Anblick der Pferdeherde, das wunderbare Gefühl, neben Neil Thunderhawk im Pick-up zu sitzen, und die geheimnisvolle Anspannung, die der Beginn des Sonnentanzes mit sich brachte.
    Neil parkte neben den anderen Fahrzeugen und wir liefen zum Arbor. Ich hatte mich extra hübsch angezogen für diesen Tag: ein rotes T-Shirt und einen bunten Wickelrock – beides aus den Kartons, die Nellie White Elk uns gebracht hatte.
    Fast alle Frauen, die am Arbor standen, trugen Röcke, das war selbstverständlich. »Als die Frauen anfingen Hosen zu tragen wie Männer«, hatte Dad mir erzählt, »hat sich Wakan Tanka beschwert, weil er nun nicht mehr unterscheiden konnte, wer ein Mann und wer eine Frau war. Und schließlich wollen wir Wakan Tanka ehren beim Sonnentanz und ihn nicht verwirren.« Dabei hatte er mir zugezwinkert und gelacht. Wir zogen unsere Schuhe aus, denn unter das Schattendach rund um den Arbor herum durfte man nur barfuß treten. Auch die Tänzer würden vier Tage lang auf bloßen

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