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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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warum ich weinte und warum ich meine Haare abgeschnitten hatte. Er wusste nur zu gut, aus welchem Grund Lakota-Frauen sich ihr Haar abschnitten.
    Â»Ist was mit deinem Vater?«, fragte er und fasste mich am Arm.
    Seine Berührung, die Wärme seiner Hand, löste etwas in mir aus. Und da mir klar war, dass er es ja irgendwann sowieso erfahren würde, gab ich mir einen Ruck. »Mein Dad wird nun doch nicht nach Hause kommen«, sagte ich, erstaunlich sachlich. »Er sitzt in San Francisco im Gefängnis und wird beschuldigt, seinem Chef Geld gestohlen zu haben.«
    Neils Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er schien eine Weile zu brauchen, bis er das Gesagte verdaut hatte. »Aber er hat es nicht getan, oder?«, fragte er schließlich.
    Â»Nein, natürlich nicht«, stieß ich hervor.
    Neil trat wütend gegen den Erdhügel eines Wühlhörnchens, dass die Dreckklumpen spritzten. Stormy machte einen erschrockenen Satz zur Seite, und Taté hob wachsam den Kopf.
    Â»Das passiert immer und immer wieder«, sagte Neil voller Zorn in der Stimme. »Dass Indianer da draußen in der Welt der Weißen für Dinge ins Gefängnis gesperrt werden, die sie nicht getan haben.«
    Wie viele andere im Reservat war auch Neil Thunderhawk auf Weiße nicht gut zu sprechen. Ich konnte das verstehen, hatte doch jedes Indianervolk in Amerika seine eigene Geschichte von der Grausamkeit und Gleichgültigkeit der Weißen zu erzählen. Nun hatte auch ich meine ganz persönliche Geschichte und hätte einen Grund gehabt, die Weißen zu hassen. Aber ich tat es nicht, weil ich wusste, dass mein Vater das nicht gewollt hätte. Er hatte mich gelehrt, dass man nie jemanden nach seiner Rasse, Herkunft oder Religion beurteilen sollte.
    Auf jeden Fall tat es gut zu wissen, dass Neil nicht an der Unschuld meines Vaters zweifelte.
    Â»Ich hoffe, alles klärt sich schnell auf, und dein Dad ist bald wieder draußen«, sagte er. »Wenn du jemanden brauchst, mit dem du reden willst: Du weißt ja, wo ich wohne.«
    Dem Mitgefühl in seiner Stimme war ich nicht gewachsen. Ich nickte und kämpfte gegen die Tränen. Doch die Trauer, die von mir Besitz ergriffen hatte, stieg in tiefen Schluchzern in mir auf. Ich wollte nicht, dass Neil mich so sah, aber ich konnte es auch nicht verhindern.
    Â»Hey Braveheart«, sagte er erschrocken, und ich zuckte zusammen, weil er den Kosenamen meines Vaters benutzte. Neil machte einen Schritt auf mich zu, und sein Blick drang in mein Inneres, viel tiefer, als ein anderer es jemals getan hatte. Dieser Blick suchte nach meiner Seele, und als ich plötzlich ein warmes Pulsieren in meinem Körper spürte, wusste ich, dass er sie gefunden hatte.
    Neil zog mich an sich heran und nahm mich in die Arme. Meine Tränenbäche versickerten im Stoff seines wattierten Hemdes. Ich hörte sein Herz schlagen und spürte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte vor Aufregung, Kummer und Freude. Das hatte Neil noch nie getan: mich in den Arm genommen.
    Er ließ mich los und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    Â»Na komm, gehen wir erst einmal zu meinen Eltern, und dann erzählst du ihnen alles. Vielleicht können sie deinem Vater helfen, schließlich ist er ihr Freund.«
    Ich stand da, mit hängenden Schultern, wie ein trauriger Rabe.
    Â»Na los«, sagte er, »hoch mit dir!« Er verschränkte seine Finger vor dem Bauch des Hengstes, und ich sah ihn ungläubig an.
    Â»Na was ist? Hast du etwa Angst?«
    Ich stieg in seine Hände und saß auf. Mit einem Satz war Neil hinter mir. So ritten wir langsam zurück zum Haus.
    Â»Du bist mutig«, sagte er nach einer Weile, und ich wusste, dass er lächelte. »Taté duldet eigentlich nur mich und meinen Pa auf seinem Rücken.«
    Â»Und warum hat er mich dann nicht abgeworfen?«, fragte ich.
    Â»Weil ich ihm gesagt habe, dass ich dich mag.«
    Ich spürte Neils warmen Atem in meinem Nacken, wenn er redete. Die Wärme seines Körpers und seine beruhigende Stimme lösten ein Gefühl des Glücks in mir aus. Das verwirrte mich vollends: dass ich glücklich war – und todunglücklich zugleich.
    War das normal? Funktionierte das Leben auf diese Weise? Ich wollte es nicht glauben, obwohl es für mich keine andere Erklärung gab.
    Mit bestürzten Gesichtern hörten sich Tom und Della an, was ich von meinem Vater zu berichten

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