Talitha Running Horse
Sein Gesicht war verschlossen, aber in seinen Augen entdeckte ich eine merkwürdige Unruhe. Er hatte Angst, und ich sah es ihm an.
»Warum hältst du nicht die Klappe, Marlin?«, fauchte Harold ihn an.
»Ich dachte, du bist scharf auf sie. Jetzt kannst du sie haben. Wir werden dafür sorgen, dass sie nicht abhaut.« Harold packte mich und zerrte mich vom Wasser weg. Sein Griff war der einer eisernen Klammer, und ich schrie erschrocken auf, als er mir den Arm umdrehte. Sein muskulöser Oberkörper trug Narben von Messerstechereien, und ich ahnte, dass er zu denen gehörte, die vor nichts zurückschreckten, nicht mal vor ihrem eigenen Blut.
Verzweifelt versuchte ich, mich aus seinem Griff zu winden, aber er packte mich fester und stieà mich vor sich her.
»O-ho, sie wehrt sich, das kleine Biest. Wahrscheinlich ist sie noch Jungfrau, Marlin. Das wird ein besonderes Vergnügen.«
Marlin kam auf Harold zu, eine Art Entschlossenheit im Blick, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Er war gröÃer als Harold und massiger, auch wenn die Ratte sehniger und beweglicher war. Knotige Muskelpakte spielten unter Harolds narbiger Haut.
Marlin packte Harold mit seinen groÃen Händen und sagte langsam und deutlich: »Lass die Finger von ihr, Harold! Klar?«
In Harolds stechenden Augen blitzte die Wut. »Du willst mir sagen, was ich zu tun habe, Fettsack? Willst du hier herumkommandieren?«
»Fettsack, Fettsack«, grölten die anderen beiden. Ihre grinsenden Gesichter, die gierigen Augen werde ich nie vergessen. Diesen Jungen bereitete es Vergnügen, anderen Schmerzen zuzufügen. Und sie würden nicht eher ruhen, bis sie ihren Spaà gehabt hatten.
Noch nie in meinem Leben hatte mich die Angst so beherrscht wie in diesem Augenblick. Sie war wie eine zähe schwarze Masse, die sich in meinem ganzen Körper auszubreiten drohte und mich lähmte. Ich hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können, geschweige denn ein Wort hervorzubringen.
Marlin und Harold rangen miteinander. Ich wusste, dass Marlin keine Chance hatte, obwohl er der gröÃere war. Die anderen beiden würden nicht zulassen, dass er ihren Anführer besiegte. Verzweifelt fragte ich mich, ob Marlin das nicht klar war.
Als mein Blick wieder hinüber zu den Jungs wanderte, die in ein paar Meter Entfernung standen, erschrak ich zu Tode. Der groÃe Dünne mit den ausgeschlagenen Vorderzähnen hielt plötzlich eine Waffe in der Hand. Es war so ein selbst gebautes Ding, wie Officer Shortbull es uns beschrieben hatte. Keine Ahnung, was für Munition da drinsteckte und was für Schaden sie anrichten konnte, wenn sie abgefeuert wurde.
Die Waffe war auf Marlin und Harold gerichtet, die am Boden miteinander rangen.
Plötzlich fühlte ich mich so schwach, dass ich fürchtete in Ohnmacht zu fallen. Aber das durfte nicht passieren. Ich musste bei klarem Verstand bleiben, sonst hatte ich keine Chance. Und Marlin auch nicht.
»Lass auf der Stelle den Boss los, Fettsack«, brüllte der Junge mit der Waffe in der Hand. Seine Stimme überschlug sich.
Marlin hielt inne und drückte Harold mit dem Gewicht seines Körpers zu Boden. Nervös flackerte sein Blick nach links. »Mach keinen Quatsch, Jesse«, sagte er. »Das Ding könnte losgehen.«
»Das wird es auch, wenn du den Boss nicht sofort loslässt«, brüllte Jesse.
Marlin wälzte sich von The Rat herunter. Harold stand auf und klopfte sich siegessicher den Staub von den Kleidern. »Du bist ein Nichts, Marlin, eine Null«, sagte er mit wutverzerrtem Gesicht. »Du hast es nicht drauf, das kleine Halbblut zu vögeln, du Schwachkopf. Dann werde ich es eben tun, und du wirst dabei zusehen.«
The Rat griff nach mir und riss an meinem T-Shirt. Mit einem lauten Brüllen stürzte Marlin sich auf Harold, als plötzlich ein Schuss die Luft zerriss, dessen Echo in den Bergen widerhallte.
Ich schrie. Marlin sackte über Harold zusammen, der brüllte und wand sich wie ein Wurm, um unter Marlins Gewicht hervorzukommen. Auf einmal hörte ich schrilles Wiehern und dumpfes Hufeschlagen. Es war Stormy, die hinter Jesse aus dem Tal auftauchte und direkt auf uns zugejagt kam, als wolle sie angreifen. Doch es war die pure Panik, das erkannte ich sofort.
Jesse, der einen Augenblick wie versteinert dagestanden hatte, riss das Gewehr herum und legte auf die Stute an.
»Nein«, schrie
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