Talivan (German Edition)
wie die Fremde. Diesmal saß sie in einer Ecke, fast unsichtbar in ihren dunklen Umhang g e hüllt, ein Bier vor sich, stumm und von der gleichen Aura wie am Vortag umgeben, die jeden anderen a b hielt, sich zu ihr zu setzen. Dennoch ließ sich Belan nach einiger Zeit nicht mehr von Sirka zurückhalten, ging zu der stummen Frau und nahm, als diese nicht einmal aufsah, ihr gege n über Platz.
„Reitest du auch nach Alvia?“, fragte die Zauberin freun d lich, während sie die wütenden Blicke ihrer Freundin för m lich zu spüren glaubte. Die Fremde sah auf, nicht unfreun d lich, eher müde, bevor sie mit den Schultern zuckte.
„Nun, da wir offensichtlich den gleichen Weg haben, darf ich fragen, wer du bist?“
Die andere Frau zog wieder den Block heraus, kritzelte lustlos ein paar Worte und schob ihn Belan zu, offensich t lich in der Erwartung der E r klärung, sie könne nicht lesen. Als die Zauberin den Zettel überflog, verstand sie. In Tlo s gao, woher die Fremde zu stammen angab, existierten kaum Zauberinnen, und die Magier – nun ja, sie waren Männer, sie mochten gefallen sein wie die meisten anderen Männer, ohne ihre Kunst weite r geben zu können, so dass es dort wohl nur noch wenige gab, die die Künste des Lesens und Schreibens beherrschten. Belan wurde es einen M o ment schwer ums Herz, als sie an ihren Mann dachte, der in der Garde des Königs von Alvia gekämpft hatte, des Königs, den es nun nicht mehr gab, der ebenso wie die mei s ten seiner Untertanen von Djakon getötet worden war. Djakon, dem Schwarzmagier, der seine unermes s liche Macht dazu benutzt hatte, das ganze Land zu unte r jochen, auch die Heimat der Fremden. Dann wandte sie sich wieder i h rem Gegenüber zu: „Sag, Werezin, warum bist du hierher gekommen? So nah an dem Schwarzen muss es gefäh r licher sein als in Tlosgao, er hat keinen Grund, nochmals den Krieg zu euch zu tragen.“
Die Stumme schüttelte leicht den Kopf, und Belan sah in ihren Augen ein wenig Wehmut neben unterdrücktem Zorn. Werezin griff nach ihrem Block und schrieb eine kurze Frage, die die Zauberin stumm las.
„Ja“, sagte sie langsam, „es mag ein aussichtsloses Unte r fangen sein, aber wir haben uns vor Tagen en t schieden, es zu versuchen.“ Sie seufzte leise. „Auch wenn dieses Abenteuer wohl unser letztes sein wird. Und doch, es muss g e tan werden. Vielleicht wird er sich vor zwei Frauen nicht fürchten und unaufmerksam werden.“
Werezin sah lange auf den Tisch zwischen ihnen, dann schien sie einen Entschluss gefasst zu haben und hob lan g sam, mit fragendem Blick, die linke Hand, an der drei Fi n ger ausgestreckt waren. Belan konnte sich ein Lächeln nicht ve r kneifen. „Sei mir nicht böse“, bat sie, „aber ich glaube nicht, dass du uns helfen könntest. Sieh, Sirka ist wohl die beste Schwertkämpferin in diesem Land, und ich bin wahrhaftig keine schlechte Zauberin, aber du …“ Sie ließ den Satz ausklingen, ohne die Beleidigung offen au s zusprechen.
„Ich habe das Wissen. Überlegt es euch“, schrieb die Stumme und warf den Zettel vor Belan auf den Tisch, b e vor sie an der Theke ihr Getränk bezahlte und zu ihrem Zimmer ging. In dieser Nacht fand sie erst spät in einen u n ruhigen Schlaf, immer wieder aufgeschreckt durch die Furcht, schon zuviel ve r raten zu haben.
„Da hättest du uns ja gehörigen Ärger einhandeln kö n nen!“, schimpfte Sirka bei ihrem kargen Frühstück zum zweiten Mal leise. „Habe ich es nicht gesagt? Die suchte nur Beschützerinnen! Will nach Alvia reiten und sich mit dem Schwarzen anlegen, was? Wie denn? Was sollte sie schon wissen, wovon wir noch nicht g e hört haben?“
Die Zauberin schwieg lange, bevor sie ihr Arg u ment vom Vorabend zu wiederholen begann: „Vielleicht kennt sie ja doch …“
„Ach was“, fiel ihre Freundin ihr ins Wort, „Djakon hat keine Schwachstellen. So viele haben es schon versucht. Nein, wir können ihn nur übe r raschen und gleichzeitig mit Schwert und Magie angreifen. Wenn es so einfach wäre, ihn zu besiegen, wie diese Werezin es sich offensich t lich vorstellt – soll sie es doch versuchen! Vielleicht lacht er sich ja tot über diese Frau …“
Die Stumme gab, als sie an ihrem Tisch vorbe i ging, durch keinerlei Regung zu erkennen, ob sie die letzten Sätze g e hört hatte. Auch das plötzliche Schweigen der beiden Fra u en schien sie nicht wahrzunehmen, bevor sie die Tür des Gasthauses energisch aufstieß und ihr hochgewehter U m hang kurz den Blick
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