Talivan (German Edition)
wozu?“, entgegnete er. Eigentlich glaubt er zu wissen, was die Fee meinte, doch er hatte nicht damit g e rechnet, dass ausgerechnet sie ihn von dieser Welt in die nächste begleiten würde.
„Um die Frucht des Muarte-Baumes zu probieren“, antwo r tete sie jedoch stattdessen.
Estven sah sie lange an, dann nickte er. Ja, sie hatte recht, es würde keinen weiteren Moment wie diesen geben. Wenn er die Frucht nun nicht kostete, würde er es wohl nie mehr tun können.
Irgendwie war das Holzkästchen, in dem er sie seit Jahren verwahrte, aus dem Geheimfach unter den Dielen zu ihm hinaus gelangt. Vorsichtig öffnete er es jetzt und nahm die Muarte-Frucht heraus. Sie hatte sich in all der Zeit nicht verändert, war nicht einmal ein wenig geschrumpelt, und ihre grüne Haut glänzte wie eh und je. Einen Moment hielt Estven sie noch in der Hand, dann steckte er sie en t schlossen in den Mund und begann langsam zu kauen. Er brauc h te eine Weile, um zu merken, dass er diesem Geschmack noch niemals begegnet war, und noch länger, um zu begre i fen, dass er nie zuvor etwas so Wundervolles gekostet ha t te.
„Das ist das Beste, was ich jemals gegessen habe“, sagte er schließlich langsam. Nachdenklich sah er die Fee an. „Ich dachte, diese Frucht könne mir einen Wunsch e r füllen, und dabei schmeckt sie nur gut?“
Die Fee schüttelte den Kopf. „Diese Frucht gibt den Menschen, was sie am dringendsten brauchen“, en t gegnete sie ruhig. „Den Ärmsten Gold, den Trauernden Hoffnung, den Einsamen lässt sie einen anderen Menschen treffen und den Heimwehkranken das einzige Schiff nach Hause finden. Viele Menschen haben sie schon gegessen, doch nur die wenigsten haben e r fahren, wie sie wirklich schmeckt. Das ist nur denen vergönnt, denen nichts anderes mehr fehlt.“
Schmunzelnd schüttelte Estven den Kopf. Er fühlte sich jetzt viel besser als am Morgen. Hätte er es nicht besser gewusst, wäre er nun wohl doch noch in den Laden g e gangen. Die Fee erhob sich von der Bank und sah Estven auffordernd an, und noch immer lächelnd folgte er ihr, ger a dewegs auf die Sonne zu.
Die Legende der Elfe vom See
„Eine gute Geschichte“, sagte die Legendenweberin, ohne von ihrem Webstuhl aufzusehen, „eine wirklich gute G e schichte kostet dich Wein und Essen für einen halben Tag. Geh also, ich werde dich um die Tagesmitte au f suchen.“
Die Elfe verbeugte sich, obwohl sie nicht glaubte, dass die Alte vor ihr diese Geste wahrnahm, und flog zurück zu i h rem See. Sie suchte den besten Wein aus ihren Vorräten, sammelte Beeren und Trauben, bat den Schäfer um etwas Käse und stibitzte dem Bauern ein paar Eier, die z u sammen mit den feinsten Pilzen des Waldes ein köstliches Omelette ergeben würden.
Als die Legendenweberin zur Mittagsstunde den See e r reichte, sprang der, der die Pferde lenkte, von der Kutsche und bot der Alten seinen Rücken, derweil ein anderer schon den Webstuhl fasste. Niemals schien die Legendenweberin Augen und Hände von dem Flechtwerk zu lassen, zu keinem Moment sah die Elfe das Webschiffchen ruhen, während die Frau und das Gerät über die unebene Wiese getragen wurden. Am Rand des Sees angekommen, b e deutete die alte Frau den Männern stehenzubleiben. Auf der hölzernen Bank, die vor langer Zeit der Jäger der Elfe g e schenkt hatte, sank sie b e schwerlich nieder.
„Nun lasst uns alleine, meine Neffen, und holt mich zur zehnten Stunde ab“, sagte sie, ohne aufzusehen, und unau f hörlich wurde das Webstück fortgesetzt. Als die beiden jungen Männer fort waren, trug die Elfe das b e reitete Mahl auf, und die Legendenweberin trank und aß und trank wi e der, während das Schiffchen von der linken zur rechten Seite und zurück wanderte. Dann saß die alte Frau schweigend über den Webstuhl g e beugt, und obgleich sie niemals aufblickte, glaubte die Elfe manchmal zu e r kennen, wie die Legendenweberin den See und die Welt rings umher mit wachsamem Blick musterte und schließlich tief in die Elfe hineinsah. So ging die Zeit, während langsam ein nicht erfassbares Muster auf dem Webwerk Gestalt a n nahm und doch immer wieder wechselte, sobald die Elfe es zu begre i fen glaubte.
„Hier nun“, begann die Legendenweberin schließlich, als der Tag schon weit fortgeschritten war, „ist also der See, ringsum zu zwei Seiten ein Wald und zur dritten Wiesen und schlie ß lich der Weg, der in das Dorf führt, dem der See seinen Namen gab.“ Die Farbe des Schussfadens wec h
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