Talivan (German Edition)
verschwand nicht. Selbst die g e woh n ten Gerüche schien der Nebel verschluckt zu haben.
„Das Ungeheuer“, fuhr die Legendenweberin unve r mittelt fort, „kann die unschlüssige Elfe nicht sehen, zu gut ist sie versteckt, wie es ihre Gewohnheit ist. Doch scheint es zu spüren, dass ihm Gefahr droht, und so sieht es sich suchend um, hierher und dorthin wandert sein tödlicher Blick und verbrennt die Ufer, schon lodert dort ein Strauch, brennt hier ein Busch lichterloh … Beeile dich, kleine Elfe, wenn du zu lange zögerst, ist dein See verloren und mit ihm der Wald und die Wiesen ringsum und nicht zuletzt das Dorf, denn wie sollte ein Mensch das Ungeheuer besiegen, dem eine Elfe nicht trotzen kann?“
Für einen schrecklichen, verwirrenden Augenblick hatte die Elfe das Gefühl, die Geschichte sei mehr als nur eine Legende aus alten oder auch jüngeren Tagen. Einen Wi m pernschlag lang glaubte sie fast, all dies geschehe wirklich; mit jedem Wort, das die Alte au s sprach, werde eine neue Wirklichkeit fortgeführt.
„Nun beginnt das Untier, über dem See zu kreisen“, führte die Alte fast ohne Pause ihre Erzählung fort, „auf den Wiesen brennt bereits weiteres Gras, die beiden We g schnecken und ein paar Käfer sterben ohne Vorwarnung, und ein ne u gieriger Vogel fällt mit qualmenden Federn aus dem Hi m mel. Schon nähert sich das Ungeheuer dem Wald, der über Jahrhunderte dort gewachsen ist, vielleicht wird es auch zunächst das Dorf aufsuchen – und was unternimmt die E l fe?“
„Die Elfe“, sagte die Elfe leise und zögerte einen Moment, ehe sie mit erhobener Stimme rasch fortfuhr, „die Elfe b e ginnt zu singen, wie Elfen es tun, wenn sie mit den Tieren sprechen möchten. Und sie singt ein Lied an die Fische des Sees, in dem sie diese bittet, ihr zu helfen. Zum Zeichen, dass sie verstanden haben, wirbeln die Fische mit ihren Flossen ein Bild in die Wasseroberfläche. Da begibt sich die Elfe auf ihren Wegen unter der Erde zum Rand des Sees, erhebt sich in die Luft, fliegt ein Stück auf den See hinaus und ruft das Ungeheuer. Dieses dreht sich langsam um, doch gerade, als es seine todbringenden Augen auf die Elfe richten will, tanzen Hunderte von Fischen aus dem Wasser und reißen eine riesige Welle mit sich hoch, und so wie der Körper des Untiers jedes Licht verschluckt, so r e flektiert die Wand aus Wasser den Blick des Ungeheuers. Und obgleich keine von Elfen oder Menschen hergestellte Waffe das Ungeheuer töten könnte, so verbrennt es nun doch an seinem eigenen Feuer in Augenblicken zu Asche, so schnell, dass es nicht einmal einen letzten Schrei der Todesangst ausstoßen kann … Und“, fügte die Elfe rasch hinzu, „die Elfe wäre natürlich fast e r trunken, als die Welle sie mit in den See zieht, doch ein riesiger Fisch schle u dert sie mit einem Schlag seiner Schwanzflosse zurück ans U fer, wo sie schließlich hustend und keuchend wieder zu sich kommt. Im nächsten Sommer sind schon fast alle Blumen und Sträucher nachgewachsen, und bald werden überhaupt keine Spuren des schrecklichen U n tiers mehr an diesem See zu sehen sein.“
„Hm, sehr dramatisch“, brummte die Legende n weberin und füllte ihr Weinglas nach. „Immerhin hat es gewirkt. Dennoch – denkst du nicht, es hätte einfachere Möglic h keiten g e geben?“
„Mir fiel keine ein“, antwortete die Elfe. Der Nebel war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Aber das war nicht ungewöhnlich für einen Sommerabend in den Tie f landen. Schweigend saßen die beiden sich gegenüber.
„Oh, das war eine schöne Geschichte“, flüsterte die Elfe endlich und seufzte leise. „Ich wünschte fast, sie wäre wahrhaftig geschehen.“
„Ist sie das denn nicht?“, antwortete die Legende n weberin lächelnd. Unaufhörlich schoss das Webschif f chen hin und her. Libellen durchkreuzten den Abend über dem See.
Neulich im Zauber-Schnupperkurs
„… vom Einhorn ein Haar
macht Wünsche wahr,
des Dünenkäfers Flügeldecken
werden böse Mächte schrecken,
die Milch der Sonnenblüte
verleiht dem Zauber Güte,
eine Prise Schlangenblut …“
„Schlangen haut !“ Wütend warf Prestidig das hochgeheime Zauberbuch auf den Küchentisch und verdrehte entnervt die Augen.
„Oh. Und da bist du dir ganz sicher, verehrter Höchster Meister des mächtigen Dreiecks?“ Gewöhnlich konnte ich meinem Gedächtnis vertrauen, aber unter normalen U m ständen brauchte ich mich auch nicht mit solch mer k
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