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Talivan (German Edition)

Talivan (German Edition)

Titel: Talivan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Tillmanns
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erzählen konnte, fiel sie ihm um den Hals, griff seine Hand und brachte ihn zu ihrem Vater. Dieser sah Estven zuerst ein wenig erstaunt an, doch als er seine Zustimmung zur Vermählung gab, schien er ebenso glücklich wie Birka und wie bald auch deren Mu t ter, als sie von der bevorstehenden Heirat erfuhr.
    Im Trubel der Hochzeitsvorbereitungen dachte Estven nur selten an die Frucht des Muarte-Baumes. Während er auf den umliegenden Märkten nach hübschen G e schenken für seine Braut suchte, fand er immer wieder preiswerte Dinge, die die Menschen in seinem Dorf oder auf anderen Märkten sicher gebrauchen konnten, und tatsächlich schien Birka mehr zu verkaufen als er in der letzten Zeit. Bald stellte er fest, dass er ein wenig mehr Geld besaß, als er erwartet hatte, und beschloss, die Frucht erst nach der Ve r mählung zu benutzen.
    Als die Feierlichkeiten vorüber waren, arbeiteten sie beide in seinem kleinen Laden. Estven erschien es richtiger, noch ein wenig zu warten, zumal ihre Lage momentan längst nicht mehr so schlecht aussah wie zu der Zeit, als er der Fee begegnet war. Doch es dauerte nur wenige Wochen, bis seine Frau ihm sagte, dass sie ein Kind erwartete, und während er sich mit Birka freute, überlegte er, was g e schehen würde, wenn er die Frucht nun benutzte. Das wichtigste in diesem Moment war, dass ihr erstes Kind gesund zur Welt kam und auch seine Frau die Geburt wohlbehalten übe r stand. Doch ob es helfen würde, wenn er die Frucht schon jetzt aß? Oder würde dadurch etwas viel weniger Wichtiges in Erfüllung gehen?
    Estven fand ein hölzernes Kästchen mit hübschen Intarsien, das ihm geeignet schien, die Frucht des Muarte-Baumes zu behüten. Er versteckte das Kästchen unter den Dielen des Ladens. Manchmal, wenn Birka sich mittags ein wenig au s ruhte, holte er es hervor und betrachtete die Frucht, die sein Leben schon jetzt verändert hatte. Vielleicht nächstes Jahr, dachte er in diesen Momenten, wenn unser Kind mich a n lächeln kann …
    Als seine Tochter geboren wurde, glaubte Estven, nie glücklicher gewesen zu sein. Das kleine Kind in den Armen seiner Frau, die unter den Tränen der Erschöpfung lächelte, schien ihm das Schönste, was er jemals gesehen ha t te. Wenn die Nachbarn kamen, um das Mädchen zu sehen, fanden sie oft Stoffe oder G e würze oder andere Dinge, die sie brauchen konnten. Sein Vater hatte nur Kostbares ve r kauft, die feinste Seide und erlesenen Schmuck, doch als Estven feststellte, dass die meisten Menschen andere Dinge b e nötigten, sah er sich auf seinen Reisen auch nach diesen um.
    Manchmal dachte er an die Frucht des Muarte-Baumes, o h ne sie aus ihrem Versteck hervorzuholen. Seiner Tochter drohten so viele Gefahren. Er hörte, dass zwei Straßen we i ter ein Junge einer Krankheit erlegen war, ein anderes Kind war im Dorfweiher ertrunken. Nur noch ein Jahr oder zwei, dachte er, solange es noch anders ging …
    Doch als seine Tochter gerade ein Jahr alt war, erwartete Birka das nächste Kind, und wieder sorgte sich Estven zu sehr um seine Frau und das ungeborene Kind, um die Frucht leichtsinnig aufzubrauchen. Auch dieses Kind, diesmal ein Junge, kam gesund zur Welt, und in den folgenden Jahren noch drei weitere. Estven begann zu übe r legen, ob die Frucht wohl auch helfen würde, wenn seine älteste Tochter selbst ein Kind erwartete, und beschloss, sie vorsichtshalber noch nicht zu benutzen. Zudem litten sie keine Not, daher konnte er ruhig noch ein wenig warten.
    Nach weiteren Jahren, als Estven bereits ein Enkelkind hatte, übernahm sein ältester Sohn die längeren Reisen in we i ter entfernte Städte, während die beiden jüngeren ihnen im G e schäft halfen. Mit der Zeit kümmerte sich Birka immer mehr um ihre Kindeskinder, während Estven die Reisen seiner Söhne plante und immer noch im Geschäft arbeitete.
    Eine Woche nach seinem dreiundsechzigsten Geburtstag fühlte sich Estven plötzlich so schwach, dass er nicht wie sonst in den Laden ging. Stattdessen setzte er sich auf die Bank vor seinem Haus, eine Decke über den Knien, und beobachtete schweigend den Lauf der frühen Sonne.
    Die Frau neben sich bemerkte er erst, als sie ihn a n sprach. „Ein passender Tag, denkst du nicht?“, fragte sie.
    Stirnrunzelnd sah Estven sie an. Es dauerte eine Weile, ehe er die Fee wiedererkannte, die ihm einst die Frucht gegeben hatte. Sie sah älter aus als damals, die ve r gangenen vierzig Jahre hatten auch in ihrem Gesicht Spuren hinte r lassen.
    „Passend

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