Talivan (German Edition)
wohl unter den vereinzelten Gämsen und Ber g ziegen gefunden, nur einmal hatte Malina bisher einen halb verhungerten Fuchs gesehen.
Größer wurde der Abstand zwischen der jungen Hexe und den Männern, deren Schwerter und Schilde an müden Armen hingen, der Kampf für fast alle von ihnen u n gewohnt, und die erfahrensten unter ihnen ohne Grund, für ein unb e kanntes Dorf in einem fremden Land den Tod zu suchen. Als sie sich zur Rast niede r setzten auf ihre Schilde, die ein wenig Schutz vor der Kälte boten, die dem Boden entstieg, war die schon tiefstehende Sonne im Nebel kaum noch ausz u machen.
Ein Kampf in der Nacht, dachte Malina, vielleicht wäre dies die einzige Lösung. Ein wenig abseits von der kleinen Gruppe blieb sie stehen, ließ ihren Blick run d um durch den dichter werdenden Nebel schweifen. Doch diese Gegend war zu weit von ihrem Heimatdorf en t fernt, als dass sie die anderen in der Dunkelheit sicher zum Lager der Feinde hätte führen können. Ihre Nach t sicht war ausreichend, um den von Kälte und Sturm gefällten Bäumen und hera b gestür z ten Ästen ausweichen zu können, doch wenige Schritte in schweren Stiefeln auf einem der kleinen Seen, deren Eisdecke kaum von der gefrorenen und schne e bedeckten Erde zu unte r scheiden war, mochten ausreichen, die Fremden zu früh aufzuwecken …
Und da wusste sie endlich, was sie tun musste. Nur kurz rief sie ihrem Anführer zu, die Männer sollten nicht auf sie warten, ehe sie loslief, den Feinden entgegen. Es dauerte nicht lange, bis sie den gleichmäßigen Tritt der ei n hundert Soldaten hörte. Da verlangsamte sie ihren Schritt, konzen t rierte sich ganz auf eine der Illusionen, die sie von Varsa gelernt hatte. Fester schlang sie ihr Kopftuch um Haare und Kinn, wie es die alten Frauen zum Schutz vor der Kälte trugen, ein au f gesammelter Ast verwandelte sich in einen krummen Gehstock, die Kleider färbten sich schwarz, ihr Rücken beugte sich unter der Last der Jahre, und zuletzt ihr Gesicht, der schwerste Teil, voller Falten und Ru n zeln, mit weißen Brauen und vereinzelten braunen Zahnstu m meln.
So sahen sie die näherrückenden Soldaten, eine alte Frau, schwer auf ihren Stock gestützt und so schnell vorwärts humpelnd, wie es ihr möglich war. „Geht nicht weiter!“, rief sie ihnen entgegen, hustete rasselnd und hielt doch nicht an, die trüben Augen voller Angst. „Kehrt um, sonst werdet ihr von den Eiswölfen zerrissen! Sie sind gleich hi n ter mir!“
Einige der Fremden stutzten, andere lachten, ve r stummten wieder. „Lass den Unfug!“, befahl einer der Soldaten und stieß sie aus dem Weg.
Die Alte taumelte, doch stürzte nicht. „Ich warne euch, ihr rennt in euer Verderben! Die Eiswölfe kennen keine Gn a de!“, rief sie heiser, und diesmal lachte keiner der Fremden. Einige waren stehengeblieben, andere gingen langsam an ihr vorbei, aus den Augenwinkeln nur b e trachteten sie die alte Frau und glaubten ihr, ohne zu wissen weshalb.
„Weitergehen!“, rief eine befehlsgewohnte Stimme, und die Ersten gehorchten, gleichmäßiger wurde der Klang der Stiefel auf gefrorener Erde, vorbei an der Alten drängten die Soldaten vorwärts, ungeachtet ihrer Warnungen, wä h rend sie in die andere Richtung humpelte, auf die Berge zu, über die die Fremden g e kommen waren.
In stetem Schritt marschierten die Fremden weiter voran, schon vergessen die alte Vettel, doch in den Ohren noch ihre Warnung, und immer wieder wanderten verstohlene Blicke durch den undurchdrin g lichen Nebel: Wo mochten die Eiswölfe sein? Sie sahen nicht Malina, die schnell wieder ihr normales Aussehen angenommen hatte und nun nicht weit entfernt an ihnen vorbeilief, mit lautlosen Schritten und verborgen im Nebel, zurück zum nächs t gelegenen See, den sie auf dem Weg zu den Feinden e r blickt hatte. Keiner von ihnen ahnte, dass die junge Hexe gleich vor ihnen am Ufer des Sees kauerte, den schweren Stock fest umkla m mert, mit dem sie endlich, als sie die gleichmäßigen Schritte der Feinde vernahm, auf die g e frorene Oberfläche stieß, wieder und wieder, bis diese au f brach und erste Eisschollen im Wasser trieben. Die Soldaten aus der Ebene, die kein Schnee noch Eis je e r reicht hatte, hörten nur ein unheiml i ches, unbeschreibbares Geräusch, als heule gleich vor i h nen ein Rudel Eiswölfe, und langsamer wurde ihr Gang, und hastiger streiften ihre Augen umher.
Während Malina erschöpft innehielt, warf sie die lo s gebrochenen Eisstücke flach auf den
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