Talivan (German Edition)
Hoffnung zu keimen, dass sie es wirklich scha f fen konnte. Sie sah in den Gesichtern der Fremden, für die sie mit den anderen in den Gasthöfen spielte, wie ihre M u sik sie zu verzaubern vermochte. Doch bemerkte sie nun auch wieder, was sie in den Tagen der intensiven Vorbereitung e r folgreich zu vergessen gesucht hatte: Während sie in den ersten Monaten ihres Unte r richtes, gleich den anderen, nur weniger Minuten bedurft hatte, ihre Finger aufzuwärmen und so beweglich genug zu machen, die Laute zu spi e len, so benötigte sie nunmehr Stunden, bis sie ihre Finger a n nähernd so leicht und schnell bewegen konnte wie vo r mals. Zwar störte es sie nicht wirklich, doch überlegte sie nun manches Mal, wenn sie des Morgens durstig blieb, weil ihre schmerzenden Finger noch keinen Becher halten konnten, ob der Preis nicht zu hoch war. Dann wieder kamen die Abende, und sie vergaß, was sie am Morgen g e dacht hatte, in der Gewissheit, dass sie jeden Preis zu zahlen bereit wäre, um diesen Zauber verspüren und weiterg e ben zu dürfen.
Wie alles im Leben ging auch diese Zeit der Wande r schaft zu Ende, und es folgte der Tag, an dem sie, g e meinsam mit anderen Gruppen, im Grünen Turm a n kamen. Nur wenige Tage blieben Fiona bis zum Tag der Entscheidung, in denen sie fast von morgens bis abends übte. Durch Zufall erfuhr sie, dass außer ihr noch mehr als ein Dutzend Lautenisten ausgesucht worden waren. Dennoch hoffte sie weiterhin, zu den Glücklichen zu g e hören, die hier bleiben durften. Im Grünen Turm zu leben, das fühlte sie schon jetzt, trotz der b e drückenden Nachrichten von einigen Schlachten in der Nähe, würde ihr helfen, die Magie noch stärker zu spüren, die von jedem Lied, doch auch von so vielen Erlebnissen ausging, deren Zauber nur noch niemand in Form einer Melodie ei n gefangen hatte. Manchmal dachte sie daran, selbst ein Lied zu schreiben, doch war sie sich nicht sicher, ob sie das, was sie mit Worten leicht hätte sagen können, auch mit Tönen au s drücken könnte. Doch für solcherlei Gedanken war sowieso die Zeit zu kos t bar. Würde sie es erst einmal geschafft haben, als Elevin aufg e nommen zu werden, konnte sie noch immer versuchen, e i gene Lieder zu schreiben und zu spielen.
Und wieder spielte sie besser denn je zuvor. Da die Prüfung in der Frühe stattfand, hatte sie sich nur eine kurze Zeit des Schlafes gegönnt, bevor sie ihre steifen, geschwollenen G e lenke dehnte und massierte. Weil sie inzwischen g e lernt hatte, dass die beste Methode, sich auf das Spielen vorz u bereiten, noch immer darin b e stand zu spielen, hatte sie die Saiten mit einem Tuch umwickelt, um die anderen nicht schon zu dieser nachtschlafenden Stunde zu wecken. Sie hatte jedes der vorbereiteten Stücke gespielt, so oft sie es schaffte, bis der Ruf zur Prüfung sie erreichte. Die drei a n deren, die vor ihr an der Reihe waren, ließen ihre Hoffnung auf Erfolg wachsen – sie waren nicht schlecht, doch wen i ger gut als Fiona. Da sie selber spielte, vergaß sie die mo r gendliche Steifheit ihrer Finger, vergaß den Schmerz, wenn ihr flacher Zeigefinger die Saiten niede r drücken musste und die geschwollenen Gelenke unglüc k lich eine Saite ei n klemmten, vergaß drei Jahre harter Arbeit, nur für diesen einen Moment und ein Ziel. Als der letzte Ton verklungen war, blieb sie wie betäubt auf dem Schemel sitzen, bevor sie begriff, dass es vorbei war. Nun blieb ihr nur noch zu hoffen, sie konnte nichts Weiteres mehr tun. Stumm lauschte sie den folgenden Vorträgen der anderen und zäh l te insgeheim mit, wie viele von ihnen sie für ebenso gut wie sich selbst erachten würde. Einer, dann zwei – schlie ß lich drei. Fiona vermochte nicht zu sagen, wie sich Meister Sephonis entscheiden würde, hatte sie sich selbst doch nicht spielen gehört, auch wenn sie wusste, dass sie gut gewesen war. Vier wirklich gute Lautenisten – einer zuviel. Sie hätte keinen Grund dafür benennen können, doch war sie sich fast sicher, nicht der vierte zu sein. Zu viel hing davon ab, als dass es hätte schiefgehen dürfen – ihr ga n zes Leben. Erst am Abend würden Sephonis und die anderen Meister ihre Entscheidungen verkünden; bis dahin blieb F i ona Zeit, sich ein wenig hinzulegen, auch wenn sie auf Schlaf nicht hoffen durfte.
Durch ein Klopfen an der Tür zum Schlafsaal wurde sie schon kurz darauf wieder aus ihren Tagträumen gerissen. Als sie antwortete, betrat eine ältere Frau den Raum, der sie zuvor noch nicht
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