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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie es gekommen war. Er sah auf die Uhr – Viertel nach zwölf – und trat in die Bar.
    Es war keine Bar im eigentlichen Sinne, sondern ein Bar-Restaurant für ein etwas gehobeneres Publikum, Teil eines Komplexes, den die Stadtväter am Flußufer hatten bauen lassen, um Touristen und Einheimische mit ein bißchen Geld in der Tasche anzulocken und ihnen zu suggerieren, sie bekämen was Besonderes, weil die Kellner gestärkte weiße Schürzen und weiße Hemden trugen und der Hudson vor den Fenstern vorbeifloß. Und er wollte sich auch gar nicht beschweren – er liebte solche Lokale, wo der Geruch des Firnisses auf der Fichtenholztäfelung noch in der Luft hing und die Besitzer jung und unerfahren waren und Großes vorhatten. Er studierte die Speise- und Weinkarte und sah, was sie boten und verlangten, er fühlte sich wie ein Experte, der einem Laien bei der Arbeit zusah, doch das war alles rein akademisch. Er würde nie wieder ein Restaurant haben. Zuviel Ärger. Zuviel Herzblut.
    Es dauerte etwas, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, und dann nickte er der Frau am Empfangspult zu (achtzehn, naturblond, mit einem Schmetterling auf dem linken Schulterblatt – und das verabscheute er, er verabscheute solche Frauen, besonders wenn sie an intimen Stellen tätowiert waren, denn das signalisierte in seinen Augen bloß viel Verkehr). Er nahm die Sonnenbrille ab, strich sich das Haar glatt und setzte sich an die Theke. Zu seiner Überraschung war der Laden recht gut besetzt. Die Bar war voller Geschäftsleute in Sommeranzügen; außerdem standen da noch ein paar Sekretärinnen und drei, vier örtliche Versager herum – die erkannte man überall auf den ersten Blick, auch wenn sie farbige Hemden trugen und ihr Sieh-mal-wie-zivilisiert-ich-mich-benehmen-kann-Gesicht aufgesetzt hatten. Etwa zwei Drittel der Tische waren besetzt, die meisten mit Frauen, von denen wiederum die meisten Eistee tranken und in dem Krabbensalat stocherten, der auf einer halben Avocado serviert wurde. Wie hieß noch mal das Wort? Déclassé. Es war jedenfalls nicht Sausalito, soviel war sicher.
    Er hatte gerade ein Bier und ein halbes Dutzend Venusmuscheln bestellt, die Zeitung auf der Theke ausgebreitet und einen Blick auf den Fernseher geworfen, wo die sportlichen Höhepunkte des Vortags gezeigt wurden und irgendwer irgendwo einen Home Run warf, als er eine Hand auf der Schulter spürte und herumfuhr, als hätte er sich verbrannt – er war schreckhaft, zuckte regelrecht zusammen. Für einen Augenblick wußte er nicht, in wessen Augen er sah. Es war ein Fremder, irgendein Typ, der einen Blick auf die Sportseite werfen wollte oder der höflich fragen würde, ob er seinen Hocker vielleicht ein bißchen nach –
    »Peck, Mann! Erkennst du mich nicht?«
    Es war Dudley, Dudley mit kurzen Haaren und ohne Ohrring, und er trug eine weiße Schürze, ein langärmliges Hemd und eine Krawatte. Er wußte nicht, was er sagen sollte, und versuchte, ihn einfach nicht zu erkennen – Hm? Meinen Sie mich? –, aber es funktionierte nicht, es würde nicht funktionieren. Er war William Peck Wilson, und obwohl er drei Jahre nicht mal in die Nähe von Peterskill gekommen war, hatte man ihn sofort aufgespürt. In Newburgh. Herrgott. Das war vierzig Kilometer von Peterskill entfernt, auf der anderen Seite des Flusses. Wer hätte gedacht, daß ihn dort jemand erkennen würde?
    Dudley stand da und grinste, als hätten sie einen Sechser auf einem gemeinsamen Lottoschein. Er hatte Augen wie Enterhaken und zu trockene Lippen. »Ja«, sagte Peck und nickte, »ja. Gut, dich zu sehen.«
    »Mann, ich kann’s nicht glauben. Du bist wieder da.« Und bevor Peck antworten konnte, rief er dem Barmann zu: »He, Rick, gib dem Mann, was er haben will. Was willst du? Ein Glas von diesem Single Malt Scotch – wie hieß doch gleich das Zeug, das du immer getrunken hast?«
    Der Name steckte wie ein Schleimpfropf in seiner Kehle. »Laphroig.«
    »Genau, Laphroig.« Dudley warf einen Blick über die Schulter. »Eigentlich soll ich bei der Arbeit nicht trinken, aber das hier ist ja wohl eine besondere Gelegenheit.« Er trat von einem Fuß auf den anderen, ging einen Schritt zurück, um sein Blickfeld zu erweitern, und stupste Peck mit der Faust an die Schulter. »Scheiße!« blökte er. »Scheiße, Peck, das ist echt klasse, dich wiederzusehen. Bärenstark, Mann, bärenstark!«
    Er konnte nichts dagegen tun – irgend etwas in ihm zersprang, und mit einemmal hatte er

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