Talk Talk
vor ihnen. Vielleicht hatte er sie nicht richtig verstanden, vielleicht war das der Grund. Wenn sie erregt oder leidenschaftlich war, wurde ihre Aussprache oft undeutlich. Also wiederholte sie alles noch einmal. Ihre Mutter hatte unrecht: Sie war nicht dickköpfig, sondern entschlossen. Und konsequent. Schon als Kind hatte sie genau gewußt, in welcher Welt sie leben wollte – in der Welt, die sie sich selbst erschaffen hatte, die sie Stück für Stück um sich herum errichtet hatte, bis sie ganz und gar davon umgeben war –, und niemand, nicht ihre Mutter, nicht ihr Vater und auch nicht der geschickteste und überzeugendste Spezialist der Welt konnte sie von etwas anderem überzeugen.
Jetzt, da sie in der Mittagshitze im Wagen unter dem Baum saßen und Bridger stirnrunzelnd den Stadtplan studierte, kehrten Danas Gedanken wieder in die Gegenwart zurück, zu dem, was sie vorhatten, und ihr Puls beschleunigte sich. Im Telefonbuch von Peterskill standen zwei Calabreses, ein F. A. in der Maple Avenue 222 und ein F. R. in der Ringgold Street 599. »Bei welchem probieren wir’s zuerst?« fragte Bridger und zeigte auf die Karte. »Das hier« – sein Finger glitt über eine diagonale Linie, die in südöstlicher Richtung aus der Stadt herausführte – »ist F. A., und das« – er zeigte auf eine Straße südlich von dort, wo sie jetzt waren – »ist F. R . Wie es aussieht, ist F. A. näher. Aber das ist eigentlich egal – die Stadt ist ja nicht groß... Was meinst du?«
»Ich weiß nicht. Wir können ja eine Münze werfen.« Vor ihrem inneren Auge stieg das Bild einer durch die Luft wirbelnden Münze auf und versank wieder. »Na gut, dann also F. A. «
Bridger sah über die Schulter, stellte den Hebel der Automatik auf D und lenkte den Wagen auf die beinahe menschenleere Hauptstraße von Peterskill. Dana fragte sich, warum sie so aufgeregt und nervös war und so schwer atmete und warum ihre Hände zitterten. Sie wußten nicht mal, ob der Typ wirklich Frank Calabrese hieß – es konnte ja auch einer seiner zahlreichen Decknamen sein – und ob sein Ziel wirklich Peterskill war. Das war nur eine Vermutung. Sie hatten bloß das Polizeiprotokoll, das Milos ihnen besorgt hatte ( Frank Calabrese, geboren am 2.10.1970 in Peterskill, New York ), und den kryptischen Brief von einem gewissen Sandman, der im benachbarten Garrison aufgegeben worden war. Und was stand darin? Bis bald. Das konnte alles mögliche bedeuten. Vielleicht flog er nach Kalifornien, vielleicht trafen sie sich irgendwo in der Mitte, vielleicht war es auch eine Verabredung zu einem Verbrecherkongreß in Arkansas oder Feuerland.
Sie schlug den Aktenordner auf, um die Worte noch einmal geschrieben vor sich zu sehen – als würden sie ihre verborgene Bedeutung enthüllen, wenn sie sie nur lange genug anstarrte. Hi, die Sache, über die wir geredet haben, läuft, null Problemo. Bis bald, ciao, Sandman. Reichte das? Null Problemo ? Bis bald? Glaubten sie wirklich, daß dieser Typ geduldig hinter einer Fliegentür in der Maple Avenue oder der Ringgold Street auf sie wartete? Es war verrückt. Wie alles, was im vergangenen Monat passiert war. Und was war mit der Polizei – war das hier nicht ihr Job?
Bridgers Lippen bewegten sich. Er beugte sich weit vor, spähte durch die Windschutzscheibe und zählte die Hausnummern ab: »Zwei-sechzehn, zwei-zwanzig – hier ist es! Das Haus mit der ausgebleichten Fassade. Da drüben, siehst du?«
Er hielt auf der anderen Straßenseite, und ihr Herz begann wieder zu rasen. Es war ein blaßgraues, völlig normales Haus im Cape-Cod-Stil, das in den fünfziger oder sechziger Jahren in einem irregeleiteten Versuch städtebaulicher Erneuerung eines der baufälligen viktorianischen Häuser ersetzt hatte. Unter der Regenrinne sah man Wasserspuren, der Rasen verschwand unter einer dichten Löwenzahndecke, und in der asphaltierten Einfahrt türmten sich neben einem sehr gewöhnlichen verrosteten Auto ein paar achtlos hingeworfene Kinderfahrräder. Bridger nahm ihre Hand und sagte etwas. Er wiederholte es: »Soll ich das machen? Du kannst im Wagen bleiben, wenn du willst. Wahrscheinlich ist es ja doch Fehlanzeige.«
»Nein, ich komme mit.« Sie legte die Hand auf den Türgriff, doch Bridger ließ ihre andere Hand nicht los.
»Wir brauchen einen Plan«, sagte er. Sein Mund war verkniffen, er starrte sie mit großen Augen an. Sie sah, daß er sich bemühte, cool zu sein, im Grunde aber ebenso aufgeregt war wie sie selbst. »Wenn
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