Talk Talk
der Richter sich vor und fragte Peck mit hoher Stimme und abgehacktem indischem Akzent, ob er verstanden habe.
»Ja«, sagte Peck, und dabei war es falsch, alles falsch, und ihm war geradezu übel von dem Nachgeschmack. »Ich habe verstanden.«
»Gut«, sagte der Richter, »das hoffe ich sehr. Wenn Sie die Auflagen dieses Gerichts erfüllen und keine weiteren Schwierigkeiten – ganz gleich, welcher Art – machen, wird Ihre Tat nach Ablauf der Bewährungsfrist und vollständigen Schadenersatzleistungen an die Opfer im Strafregister von einem Verbrechen auf ein Vergehen zurückgestuft.« Er hielt inne. Bis auf das entfernte leise Seufzen der Klimaanlage war es vollkommen still im Gerichtssaal. »Aber wenn ich Sie noch einmal hier sehe, ganz gleich, unter welcher Anklage, dann sollten Sie Ihre Zahnbürste dabeihaben, denn dann schicke ich Sie auf der Stelle ins Gefängnis. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Peck wußte noch, daß er sich gefühlt hatte wie etwas, was sich jemand von der Schuhsohle gekratzt hatte, auch wenn der Anwalt sehr mit sich zufrieden zu sein schien und die Angelegenheit offenbar für alle erledigt war. Seine Mutter war mit einer ihrer abgetakelten Freundinnen gekommen, beide betrunken, obwohl es nicht mal Mittag war, und auch Walter Franz und Chip Selzer, zwei seiner Saufkumpel aus der Exbar in dem Exrestaurant, waren erschienen, um ihm den Rücken zu stärken. Sie schlugen vor, zu Mittag zu essen und zur Feier ein paar Drinks zu kippen. Seine Mutter grinste, seine Kumpel nahmen ihn in die Mitte, aber er wollte nichts davon hören. »Mensch, gratuliere«, blökte Walter und legte ihm den Arm um die Schultern. »Jetzt ist es vorbei, endlich vorbei.«
Sie waren auf dem Korridor, und es herrschte ein Gedränge von Leuten, die kamen und gingen. Fette Leute. Dumme Leute. Abschaum. Und dann sah er Gina und ihre Eltern, die durch die Schwingtür am Ende des Korridors gingen. Yan folgte ihnen wie ein Diener. Peck konnte nicht anders: Er stieß Walter mit einer Schulterbewegung, die ihn gegen die Wand taumeln ließ, von sich, und als Chip die flache Hand zum Abklatschen hob, drehte er sich einfach um und marschierte hinaus.
In den nächsten Wochen zog er den Kopf ein und versuchte, die Sache zu vergessen. Konzentrier dich aufs Geschäft, sagte er sich immer wieder, laß das hinter dir, bring alles in Ordnung. Obwohl er es sich nicht anmerken ließ, hatte die ganze Prozedur – die endlosen Termine beim Anwalt und beim Psychiater, die Vertagungen, das allgemeine Generve, all die pure, ungefilterte Scheiße – ihn ziemlich geschafft, und Pizza Napoli war nicht mehr das, was es gewesen war oder hätte sein sollen. Die Umsätze gingen zurück, weil die Leute lieber grillten oder an den Strand fuhren oder weil sie in den Sommerferien eben weniger Lust auf Pizza hatten als während der Schulzeit, wenn die Kinder jeden Abend am Tisch saßen und nach Futter schrien. Schließlich gab er Skip nach und ließ mit der örtlichen Tageszeitung einen Gutschein verteilen, zum allererstenmal und wider besseres Wissen, denn in seinen Augen begab er sich damit auf das Niveau von Pizza Hut oder Domino’s.
Es brachte auch nicht viel. Wenn es in der Umsatzkurve eine Beule gab, dann war sie so klein, daß er sie nicht bemerkte. Doch abgesehen davon, daß die Anzeige ihn Geld kostete (dabei war es eigentlich nicht mal eine Anzeige, sondern bloß ein Gutschein in der Donnerstagsbeilage), schien sie der Pizzeria auch noch den letzten Rest von Klasse zu nehmen. Er haßte diesen Gutschein. Er haßte die Gestaltung, die uninspirierte Zeichnung eines stereotypen, grinsenden, schmerbäuchigen, schnurrbärtigen italienischen Kochs mit geölten Haaren, der, allen Gesetzen der Schwerkraft zum Trotz, eine Pizza senkrecht hielt. Darüber stand: Pizza Napoli – Bei Bestellung einer Pizza in Normalgröße mit einer Extrazutat bekommen Sie die nächste umsonst. Herrgott, er hätte ebensogut Hula-Hoop-Reifen verkaufen können.
Und dann auch noch Gina. Jeder Kontakt mit ihr war ihm untersagt, aber er hatte das Recht, seine Tochter jeden Sonntag zu sehen, den ganzen Sonntag, ob es Gina nun gefiel oder nicht, und sein Anwalt arbeitete mit ihrem Anwalt eine Regelung aus, nach der Ginas Mutter Sukie zu einem neutralen Ort brachte, wo er sie dann abholte. Sie einigten sich auf McDonald’s – Sukie liebte McDonald’s, und zwar mehr wegen des Spielplatzes, denn das Essen, der dickflüssige Vanilleshake und der eingeschrumpelte kleine
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