Taltos
wird.«
»Ach.«
Morrolan sagte: »Zeig ihm den Stab.«
»Den kann ich auch von hier sehen«, meinte ich und sah mir das Ding neben Sethras Hand an. Aber sie ignorierte die Bemerkung und reichte ihn mir.
Ich fragte: »Und die Seele von dieser Person ist hier drin?«
»Ja«, antwortete Sethra. »Nehmt.«
»Wieso?«
»Damit Ihr sehen könnt, ob Ihr etwas spürt.«
»Was soll ich denn spüren?«
»Vielleicht gar nichts. Ihr werdet es erfahren, wenn Ihr ihn in die Hand nehmt.«
Seufzend nahm ich das Ding. Weil sie davon
gesprochen hatte, daß ich etwas spüren sollte, fiel mir besonders die glatte Oberfläche auf und daß es etwas kalt war. Ich hatte es ja schon einmal in der Hand gehabt, aber damals war ich anderweitig beschäftigt gewesen. Es war aus hellem Holz gefertigt, vermutlich Diamantweide.
»Spürst du was, Loiosh?«
»Ich bin mir nicht sicher, Boß. Kann sein. Ich glaube ja.«
Dann wurde ich es auch gewahr. Ja, da war irgendein Wesen, daß mir scheinbar an den Fingerspitzen klebte.
Seltsam. Ich bekam sogar einen verschwommenen
Eindruck von Persönlichkeit; feurig, reizbar. Eine Dragon, soviel stand fest.
117
Außerdem empfand ich zu meiner Überraschung
unmittelbar Mitgefühl; ich weiß bis heute nicht, warum.
Ich reichte Sethra den Stab zurück und sagte: »Ja, ich hab was gespürt.«
»Und?« fragte sie.
»Was und?«
»Macht Ihr es?«
»Seid Ihr verrückt? Ihr habt doch gesagt, daß niemand außer Zerika –«
»Ich habe aber auch erklärt, warum ich glaube, Ihr werdet es überleben.«
Ich grunzte. »Klar. Schon gut, ich mach’s – wenn Ihr zu meinem Schutz mitkommt.«
»Seid nicht albern«, blaffte Sethra. »Wenn ich selber gehen könnte, würde ich Euch überhaupt nicht
brauchen.«
»Gut«, meinte ich. »Dann nehme ich Morrolan.« Ich grinste, was, wie ich mittlerweile glaube, grundsätzlich ein Fehler im Umgang mit Dragonlords ist. Sicher bin ich nicht, aber ich glaube, Chaz hat auch gegrinst.
Sethra und Morrolan sahen sich an. Dann sagte
Morrolan: »Wohlan. Ich willige ein.«
»Moment mal«, fing ich an.
Sethra unterbrach mich: »Morrolan, die Herren des Jüngsten Gerichts werden dich nicht wieder gehen lassen.«
»Dann sei es so.«
Sethra sagte: »Aber –«
Ich sagte: »Aber –«
»Wir brechen morgen auf«, wies Morrolan mich an.
»Am besten, wir bringen Euch sofort zurück, damit Ihr Euch auf die Reise vorbereiten könnt.«
118
Das längliche Gesicht von Kiera der Diebin wurde von einer Kutte fast völlig verdeckt, als sie über mir thronte, und ihre Stimme klang tief, beinahe ein Flüstern. »Hallo, Vlad.«
»Danke.«
»Du weißt es also«, sagte sie.
»Ich weiß, daß du es gewesen sein mußt, die mit Nielar über mich gesprochen hat. Danke.«
»Hoffentlich tue ich dir damit einen Gefallen.«
»Das hoffe ich auch. Warum meinst du nicht?«
»Es kann gefährlich sein, für die Jhereg zu arbeiten«, sagte sie.
»Ich schlage sowieso jeden Dragaeraner zusammen, wo immer es geht. Warum soll ich mich dafür nicht bezahlen lassen?«
Sie musterte mich. »Haßt du uns so sehr?«
»Die ja, dich nicht.«
»Ich bin Dragaeranerin.«
»Und trotzdem bist du keine von denen.«
»Vielleicht nicht.«
»Ist auch egal, ich muß an Geld kommen, wenn ich nicht im Ostländerghetto landen will.«
»Weiß ich.« Ihre Zähne blitzten auf. »Das wäre nicht der richtige Ort für dich. Schließlich bist du ein Edelmann.«
Ich lächelte zurück.
Dann sagte sie: »Ich kann dir Sachen beibringen, die dir helfen werden.«
»Das wäre schön«, gab ich zurück. »Du bist sehr nett.«
»Ich mag dich.«
Das hatte sie schon einmal gesagt. Oft habe ich mich 119
gefragt, warum. Ich habe mich auch gefragt, wie alt sie ist. Aber nicht laut.
»Dann drück mir die Daumen«, sagte ich.
»Ja. Allerdings sollte ich dir schon jetzt ein paar Sachen verraten.«
Ich wollte endlich loslegen, aber ich bin ja nicht blöd.
Kiera die Diebin redet nur, wenn sie muß. »In Ordnung«, sagte ich.
»Das Wichtigste ist, Vlad: laß dich nicht von deinem Zorn überwältigen. Tote können nicht bezahlen, und du wirst nichts verdienen, wenn du nichts ablieferst. Und wenn du das, was du haben willst, bekommen kannst, ohne jemanden zu verletzen, wird es dein Auftraggeber zu schätzen wissen. Vielleicht ist es dir nicht klar, aber jedesmal, wenn ein Jhereg Gewalt anwenden muß,
riskiert er etwas. Und das mögen sie nicht, klar?«
»Klar.« Während sie sprach, fiel mir ein, daß ich vermutlich in
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