Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
dass die Wahrscheinlichkeit dessen denkbar gering war.
Allerdings trieben sie sich nicht nur in der Gosse herum. Täglich trafen Einladungen zu Feiern, Freudenfeuern und Jagden ein. Cremefarbene Schriftrollen, bekritzelt mit bunter Tinte, türmten sich wie gefallenes Laub im Speisesaal der Gefährten. In Abwesenheit des Königs hatten die Gefährten von jeher als gefragte Gäste gegolten, was nun umso mehr zutraf, da sich Korin dem heiratsfähigen Alter näherte.
Der Prinz war niemand, der Einladungen ausschlug. Mit fünfzehn, bereits männlichem Körperbau und einem feinen neuen Bart am Kinn, zog er bewundernde Blicke auf sich, wohin er auch ging. Das Haar hing ihm in einer Mähne schwarzer Löckchen um die Schultern und umrahmte sein kantiges, gut aussehendes Gesicht mit den lebhaften, dunklen Augen. Er wusste, wie man Damen jeden Alters mit einem Lächeln oder einem Handkuss zum Schmelzen brachte; Mädchen scharten sich um ihn wie Katzen um Sahne, während ihre Mütter angespannt in der Nähe weilten und auf ein Zeichen seiner Gunst hofften.
Jene mit jüngeren Töchtern begannen, die Augen auch auf Tobin zu richten, sehr zur neidischen Belustigung seiner Freunde und Tobins heimlichem Entsetzen. Immerhin war er reich und entstammte einer der angesehensten Familien Skalas. Zwölf war nicht zu jung, um einen vertraglichen Bund in Erwägung zu ziehen. Die scheuen Blicke der Mädchen und die unverhohlene Abwägung ihrer Mütter ließ Tobin innerlich erschaudern. Selbst wenn er gewesen wäre, wofür sie ihn hielten, bezweifelte er, dass er derlei raubtierhafte Blicke begrüßt hätte. Nach der unvermeidlichen Willkommenszeremonie bei den jeweiligen Gastgebern des Abends suchte er sich stets rasch einen Winkel, in dem er sich verstecken konnte.
Ki hingegen freundete sich mit der neuen Lebensweise an wie eine Ente mit Wasser. Sein gutes Aussehen und seine umgängliche, frohgemute Art erregten Aufmerksamkeit, die er mit Freuden erwiderte. Er fing sogar an zu tanzen.
Die anderen Gefährten zogen Tobin ob seiner Scheu auf, doch es war Arengil, der letztlich einen Weg fand, sein Unbehagen zu lindern.
Mitte des Dostin gab Caliels Mutter, Herzogin Althia, in ihrem vornehmen Haus nahe dem Alten Palast einen Ball zu Ehren des sechzehnten Namenstags ihres Sohnes. Es war eine prunkvolle Veranstaltung. Hunderte Wachsstöcke erhellten den Saal, die Tische ächzten unter Köstlichkeiten edelster Güte, und zwei Gruppen von Spielleuten wechselten einander für die vor Juwelen strotzende Schar der Gäste ab.
Caliels jüngere Schwester Mina überredete Tobin zu einem Tanz, und er brachte sich wie üblich in Verlegenheit, indem er sowohl über seine eigenen Füße als auch über die ihren stolperte. Sobald das Lied endete, entschuldigte er sich und zog sich in eine Ecke zurück. Ki kam zu ihm, um ihm Gesellschaft zu leisten, aber an der Art, wie sein Freund die Tanzenden mit den Augen verfolgte und sich im Takt der Musik mit den Händen auf die Knie klopfte, erkannte Tobin, dass Ki lieber tanzen wollte.
»Geh nur, es macht mir nichts aus«, brummte Tobin, als mehrere hübsche Mädchen an ihnen vorbeischlenderten und ihnen schöne Augen machten.
Ki bedachte ihn mit einem schuldbewussten Grinsen. »Nein, schon gut.«
Kanzler Hylus sprach in der Nähe mit Nikides. Als sie Tobin erblickten, kamen sie zu ihm.
»Ich hatte gerade eine höchst aufschlussreiche Unterhaltung mit meinem Enkel«, sagte Hylus zu Tobin. »Anscheinend wurdest du unverzeihlicherweise übersehen.«
Überrascht schaute Tobin auf. Hylus lächelte, und Nikides wirkte äußerst zufrieden mit sich. »Was meint Ihr, Herr?«
»Es wurde bislang nichts wegen deines Wappenschmucks unternommen, mein Prinz! Es hätte mir selbst auffallen müssen, aber es war Nikides, der mich darauf hingewiesen hat.« Er deutete auf den Haupteingang des Saals, wo die Banner all der adeligen Gäste zur Schau gestellt waren. Korins Rot besetzte den höchsten Mast, Tobins Blau befand sich knapp darunter.
»Du hast natürlich jedes Recht, das Banner deines Vaters zu verwenden«, meinte Nikides, als wüsste Tobin, wovon er redete. »Aber als Prinz königlichen Geblüts solltest du auch das deiner Mutter darin einbauen. In einem Fall wie dem deinen können die beiden vereint werden.«
»Mit deiner Erlaubnis, mein Prinz, werde ich eine Nachricht an die Heroldskammer schicken, damit man dort unverzüglich mit der Arbeit an deinem neuen Wappen beginnt«, bot der greise Kanzler an.
Tobin
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