Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
einander zu töten. Ihre Schwertkunst war unübertrefflich, doch ihre Art zu kämpfen war viel mehr von körperlicher Berührung geprägt als im Westen üblich.
»Es sieht aus wie ein Ringkampf mit Schwertern«, sagte Kalten zu Ulath.
»Ja«, bestätigte der Thalesier. »Ich frage mich, ob man so auch mit der Streitaxt kämpfen könnte. Wenn man den Gegner ins Gesicht tritt, wie Mirtai es gerade getan hat, und gleich darauf einen Axthieb folgen läßt, könnte man viele Kämpfe im Handumdrehen gewinnen.«
»Ich wußte, daß sie diese Finte macht!« Kalten grinste, als Engessa auf dem Rücken im Staub landete. »Das hat sie mit mir auch mal getan.«
Engessa jedoch blieb nicht nach Atem ringend auf dem Boden liegen, wie Kalten damals. Sofort rollte er von Mirtai weg und kam mit dem Schwert in der Hand auf die Füße. Er hob die Klinge in einer Art Salut und griff sofort wieder an.
Die ›Prüfung‹ dauerte noch einige Minuten, bis einer der zuschauenden Ataner laut mit der Faust auf seinen Brustpanzer schlug und damit das Ende des Wettkampfs anzeigte. Der Mann war viel älter als seine Kameraden, zumindest hatte es den Anschein. Sein Haar war schlohweiß. Doch ansonsten unterschied er sich nicht von seinen Kameraden.
Mirtai und Engessa verbeugten sich förmlich voreinander; dann geleitete er sie zu ihrem Platz zurück, wo Mirtai ihre Robe wieder überstreifte und auf ein Kissen sank. Vidas höhnisches Lächeln war nun völlig verschwunden.
»Sie hat die Probe bestanden«, erklärte Engessa der elenischen Königin. Er tastete unterhalb seines Brustpanzers an einer schmerzenden Stelle. »Mehr als bestanden«, fügte er hinzu. »Sie ist eine geschickte und gefährliche Gegnerin. Ich bin stolz, der Mann zu sein, den sie ›Vater‹ nennen wird. Sie wird meinem Namen Ehre machen.«
» Wir mögen sie sehr, Atan Engessa.« Ehlana lächelte. »Ich freue mich aufrichtig, daß Ihr einer Meinung mit uns seid.« Der grimmige Ataner war für einen Augenblick völlig Ehlanas unwiderstehlichem Lächeln ausgeliefert, und zögernd, fast ein wenig hilflos, erwiderte er es.
»Ich glaube, das ist der zweite Kampf, den er heute verloren hat«, flüsterte Talen Sperber zu.
»Das Gefühl habe ich auch«, antwortete Sperber.
»Wir können sie nie einholen, Freund Sperber«, sagte Tikume an diesem Abend, als sie alle entspannt auf Teppichen rund um ein prasselndes Lagerfeuer saßen oder lagen. »Die Steppe ist fast baumlos. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich zu verstecken, und man kann nicht durch hohes Gras reiten, ohne eine Fährte zu hinterlassen, der selbst ein Blinder folgen könnte. Sie tauchen aus dem Nichts auf, töten die Hirten und treiben das Vieh davon. Ich selbst habe mal einen Trupp dieser Viehdiebe verfolgt. Sie hatten hundert Rinder gestohlen und eine breite Fährte im Gras hinterlassen. Nach ein paar Meilen endete diese Fährte urplötzlich. Es gab keinerlei Spuren, die irgendwo hinführten. Sie waren einfach verschwunden. Man konnte meinen, jemand hätte vom Himmel herabgegriffen und die Diebe mitsamt ihrer Beute davongetragen.«
»Hat es auch noch andere Vorfälle gegeben, Domi?« fragte Tynian vorsichtig. »Ich meine, hat es irgendwelche Unruhen unter Euren Leuten gegeben? Verrückte Geschichten? Gerüchte? Oder Ähnliches?«
»Nein, Freund Tynian.« Tikume lächelte. »Wir haben offene Gesichter. Wir verbergen unsere Gefühle nicht voreinander. Ich würde es wissen, wenn irgend etwas im Busch wäre. Ich habe gehört, was sich in der Gegend von Darsas tut; deshalb weiß ich, warum Ihr fragt. Nein, nichts dergleichen geschieht hier. Bei uns gibt es keine Heldenanbetung wie bei anderen Völkern. Wir versuchen, selbst Helden zu sein. Jemand stiehlt unsere Rinder und tötet die Hirten, mehr steckt nicht dahinter.« Er bedachte Oscagne mit einem beinahe anklagenden Blick. »Ich möchte Euch um nichts auf der Welt beleidigen, Exzellenz«, sagte er. »Aber vielleicht könntet Ihr dem Kaiser vorschlagen, einigen seiner Ataner den Auftrag zu erteilen, der Sache nachzugehen. Es wird unseren Nachbarn nicht recht gefallen, wenn wir uns selbst darum kümmern müssen. Wir Peloi neigen leider dazu, keine großen Unterschiede zu machen, wenn jemand unser Vieh raubt.«
»Ich werde Seiner Kaiserlichen Majestät die Sache vortragen«, versprach Oscagne.
»Möglichst bald, Freund Oscagne«, mahnte Tikume. »Möglichst bald.«
»Mirtai ist eine außerordentlich geschickte Kriegerin, SperberRitter«, sagte Engessa am nächsten
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