Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Morgen, als die beiden an einem kleinen Feuer saßen.
»Zugegeben«, entgegnete Sperber, »aber Eurer eigenen Tradition zufolge ist sie noch ein Kind.«
»Darum liegt es an mir, für sie zu verhandeln«, erklärte Engessa. »Wäre sie erwachsen, würde sie es selbst tun. Kinder kennen manchmal ihren eigenen Wert nicht.«
»Aber ein Kind kann nicht von so großem Wert sein wie ein Erwachsener.«
»Das trifft nicht immer zu, Sperber-Ritter. Je jünger die Frau, desto höher der Preis.«
»Oh, das ist absurd!« warf Ehlana ein. Die Verhandlungen waren problematisch und hätten normalerweise unter vier Augen stattgefunden. Normalerweise traf jedoch nicht immer auf Sperbers Gemahlin zu. »Dein Angebot ist völlig unannehmbar, Sperber!«
»Auf wessen Seite bist du eigentlich, Liebes?« fragte er sanft.
»Mirtai ist meine Freundin. Ich lasse nicht zu, daß sie beleidigt wird. Zehn Pferde! Soviel bekäme ich schon für Talen.«
»Hast du vor, ihn zu verkaufen?«
»Es sollte nur ein Beispiel sein!«
Auch Tynian war herbeigekommen. Von allen Gefährten stand er Kring am nächsten, und diese Freundschaft erregte ein tiefes Verantwortungsgefühl in ihm. »Wie müßte das Angebot aussehen, das Eure Majestät als angemessen erachten würde?« fragte er Ehlana.
»Nicht ein Pferd weniger als sechzig!« erklärte Ehlana kategorisch.
»Sechzig?« rief Tynian. »Wollt Ihr, daß Kring am Hungertuch nagt? Was für ein Leben wird Mirtai führen, wenn Ihr sie an einen Habenichts verheiratet?«
»Kring ist keineswegs ein Habenichts, Herr Ritter!« entgegnete sie. »Er hat immer noch das viele Gold, das König Soros ihm für die Ohren der Zemocher bezahlt hat.«
»Aber es ist nicht sein Gold, Majestät!« gab Tynian zu bedenken. »Es gehört seinem Volk!«
Sperber lächelte und nickte Engessa zu. Unauffällig entfernten die beiden sich vom Feuer. »Ich nehme an, daß die beiden sich auf dreißig Pferde einigen werden, Atan Engessa.« Sein Tonfall besagte, daß er es gleichzeitig als Vorschlag meinte.
»Wahrscheinlich«, bestätigte Engessa.
»Ich halte es für angemessen. Und Ihr?«
»Es entspricht in etwa meinen Erwartungen, Sperber-Ritter.«
»Dann sind wir uns also einig?«
»Ja.« Die beiden gaben einander die Hand. »Sollen wir es ihnen sagen?« fragte der Ataner mit der Spur eines Lächelns.
»Ah, sie haben eine Menge Spaß.« Sperber grinste. »Lassen wir sie zu Ende feilschen. Dann erfahren wir auch, wie gut unsere Schätzung war. Außerdem sind diese Verhandlungen für Kring und Mirtai sehr wichtig. Würden wir uns schon nach wenigen Minuten einigen, wären sie vielleicht enttäuscht.«
»Ihr seid welterfahren, Sperber-Ritter«, bemerkte Engessa. »Wie gut Ihr die Herzen von Männern kennt – und Frauen.«
»Kein Mann kann je das Herz einer Frau wirklich kennen, Engessa-Atan«, entgegnete Sperber.
Die Verhandlungen zwischen Tynian und Ehlana hatten mittlerweile ein dramatisches Stadium erreicht. Einer beschuldigte den anderen, Herzen aus dem Leib zu reißen – und ähnlich Unsinniges. Ehlanas Vorstellung war beeindruckend. Die Königin von Elenien hätte eine hervorragende Schauspielerin abgegeben, und sie war eine hochbegabte und erfahrene Rednerin. Sie ließ sich ausführlich über Ritter Tynians schändlichen Geiz aus, wobei ihre Stimme sich in majestätischen Kadenzen hob und senkte. Tynian hingegen sprach mit kühler Vernunft, obwohl auch er ein paarmal die Stimme leidenschaftlich hob.
Kring und Mirtai saßen Hand in Hand in der Nähe; mit besorgten Blicken lauschten sie atemlos jedem Wort. Tikumes Peloi schlichen um das feilschende Paar herum, so nahe es der Anstand erlaubte, und spitzten die Ohren.
So ging es stundenlang. Die Dämmerung senkte sich über das Land als Ehlana und Tynian endlich – wenn auch widerwillig – zu einer Einigung gelangten: dreißig Pferde. Der Handel wurde mit Spucke und Handschlag besiegelt. Sperber und Engessa bestätigten ihn auf dieselbe Weise, woraufhin unter den verzückten Peloi begeisterter Jubel ausbrach. Es war rundum ein unterhaltsamer Tag gewesen, und die Feier am Abend war laut und dauerte bis tief in die Nacht.
»Ich bin völlig erschöpft«, gestand Ehlana ihrem Gemahl, nachdem sie sich endlich zum Schlafen in ihr Zelt zurückgezogen hatten.
»Armer Liebling«, bedauerte Sperber sie.
»Ich mußte eingreifen, weißt du. Du warst viel zu bescheiden, Sperber. Du hättest Mirtai ja regelrecht verschenkt. Nur gut, daß ich da war! Einen solchen Preis
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