Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
brauchen uns an keinen besonderen Zeitplan zu halten; somit können wir einen verlorenen halben Tag verschmerzen. Die Sicherheit der Königin ist jetzt viel wichtiger als schnelles Vorankommen, meinst du nicht?«
»Du kennst meine Antwort darauf genau, Kalten.«
»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann.«
»Das ist gut, Sperber-Ritter«, stimmte auch Engessa zu. »Wenn meine Späher eine ganze Nacht zum Kundschaften haben, erfahren sie nicht nur, wie viele da draußen sind, sondern obendrein noch ihre Namen.«
»Brecht ein Rad«, schlug Ulath vor.
»Was meint Ihr damit, Herr Ritter?« erkundigte sich Botschafter Oscagne verblüfft.
»Das wäre ein offensichtlicher Grund, hierzubleiben«, erklärte der Thalesier. »Wenn die Karosse zusammenbricht, müssen wir die Reise unterbrechen.«
»Könnt Ihr ein Rad reparieren, Ritter Ulath?«
»Nein, aber durch eine Art Gleitvorrichtung ersetzen, bis wir einen Schmied finden.«
»Aber würde das nicht eine sehr holprige Fahrt werden?« gab Patriarch Emban mit gequältem Blick zu bedenken.
»Anzunehmen.« Ulath zuckte die Schultern.
»Ich bin sicher, es läßt sich ein anderer Vorwand für einen längeren Aufenthalt finden, Herr Ritter. Habt Ihr eine Ahnung, wie unbequem die Weiterfahrt sein würde?«
»Ich habe nicht groß darüber nachgedacht, Eminenz«, antwortete Ulath, »aber ich fahre ja auch nicht in der Kutsche, deshalb würde es mich nicht im geringsten stören.«
15
Ein Dutzend Atanerinnen sollte helfen, den Eindruck sorglosen höfischen Treibens auf der Anhöhe zu verstärken. Doch es erwies sich als schwierig, diese Frauen zum Lächeln zu bewegen; sie schienen der Auffassung zu sein, die Götter hätten Gebote gegen das Lachen erlassen. Berit und mehrere andere junge Ritter unterhielten die Damen, während sie mehr – und weniger – im Wege liegende scheffelgroße Steine an den Rand der amphitheaterartigen Hügelkuppe schafften. Die hintere Seite der Erhebung war steiler als die vordere; dort bildete der Rand eine natürliche Wehrmauer. Die jungen Ritter häuften genügend Steine und Felsbrocken auf, um an den anderen drei Seiten eine Art Brustwehr zu errichten. Sie gingen dieser Arbeit unauffällig und scheinbar gleichmütig nach, doch bereits nach weniger als einer Stunde war eine recht brauchbare Befestigung errichtet.
Um den Fuß des Hügels brannten viele Feuer, an denen gekocht wurde, und ihr Rauch legte sich wie blauer Dunst um die weißen Stämme der Birken. Lautes Töpfeklappern und -klirren war zu hören, und die Männer der drei so verschiedenartigen Truppen verständigten sich lautstark, während sie ihr Essen zubereiteten. Engessas Ataner sammelten riesige Haufen von Brennholz – vorzugsweise gut zehn Fuß lange Scheite – und alle Köche brüllten nach Spänen für ihre Feuer, die von den Enden der Birkenstämme geschlagen werden mußten. Auf diese Weise gab es bald in regelmäßigen Abständen rund um die Kuppe ordentliche Haufen zugespitzter, zehn Fuß langer Pfähle, die entweder als Brennholz oder für eine Palisade verwendbar waren, welche in Minutenschnelle errichtet werden konnte. Die Ritter und die Peloi banden ihre Pferde in der Nähe an und lagerten müßig um den Fuß der Erhebung herum, während die Ataner sich zwischen den Bäumen verteilt hatten.
Sperber stand auf der Kuppe und beobachtete, wie die Arbeit drunten voranging. Die Damen saßen unter einem riesigen, an Stangen befestigten Baldachin in der Kuppelmulde. Stragen klimperte auf seiner Laute und sang mit seiner tiefen, klangvollen Stimme.
Talen kam zu Sperber. »Wie geht's da unten?« fragte er.
»Khalad befestigt das Lager so gut es möglich ist, ohne daß es auffällt«, antwortete Sperber.
»Er ist sehr geschickt, nicht wahr?« Stolz klang aus Talens Stimme mit.
»Dein Bruder? O ja. Euer Vater hat ihn gut ausgebildet.«
»Es wäre schön gewesen, mit meinen Brüdern aufzuwachsen.« Es hörte sich beinahe ein wenig sehnsüchtig an. »Aber …« Talen zuckte die Schultern und spähte in den Wald. »Hat Engessa sich schon gemeldet?«
»Unsere Freunde sind immer noch da draußen.«
»Sie werden angreifen, nicht wahr?«
»Höchstwahrscheinlich. Man zieht nicht so viele Bewaffnete an einer Stelle zusammen, wenn man nicht vorhat, sie einzusetzen.«
»Mir gefällt Euer Plan, Sperber. Aber ich glaube, er hat eine Schwachstelle.«
»So?«
»Wenn diese Leute, wer sie auch sein mögen, erkannt haben, daß wir hier nicht abziehen, beschließen sie
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