Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
häufig die gegenteilige Wirkung erzielte. Die sarsosischen Styriker schlurften nicht gesenkten Blicks einher und sprachen nicht leise und stockend wie ihre westlichen Brüder. Ihr Auftreten war selbstsicher. Sie diskutierten an Straßenecken. Sie spazierten hocherhobenen Hauptes durch die breiten Prunkstraßen, als wären sie stolz darauf, Styriker zu sein. Besonders die Kinder, die ohne Furcht fröhlich in den Grünanlagen spielten, machten den Unterschied deutlich.
Embans Miene verriet Zorn, und seine Lippen waren verkniffen. Sperber kannte den Grund für den Groll des Patriarchen von Uzera, und seine Ehrlichkeit zwang ihn, sich insgeheim einzugestehen, daß er ähnlich empfand. Alle Elenier hielten die Styriker für eine minderwertige Rasse, und ungeachtet ihrer Indoktrinierung empfanden die Kirchenritter im tiefsten Herzen ebenso. Sperber spürte, wie die Gedanken sich ungebeten einstellten: Wie können diese aufgeblasenen, großmäuligen Styriker es wagen, eine schönere Stadt als die Elenier zu bauen? Wie können sie es wagen, wohlhabend zu sein? Wie können sie es wagen, durch diese Straßen zu stolzieren und zu glauben, sie wären den Eleniern ebenbürtig?
Da sah er, wie Danae ihn traurig anblickte, und abrupt unterbrach er diese Gedanken und kämpfte seinen unwillkürlichen Groll nieder. Plötzlich schämte er sich seiner Emotionen. Solange Styriker bescheiden und unterwürfig waren und in Elendshütten hausten, war er durchaus bereit, ihnen zu Hilfe zu eilen. Doch wenn sie ihm stolz und ungebeugt in die Augen blickten, juckte es ihn, ihnen eine Lektion zu erteilen.
»Gar nicht so einfach, nicht wahr, Sperber?« sagte Stragen. »Dadurch, daß mein Vater mich nicht anerkannte, fühlte ich mich immer schon den Unterdrückten und Verachteten verbunden. Ich war von der unendlichen Demut unserer styrischen Brüder so beeindruckt, daß ich mir sogar die Mühe machte, ihre Sprache zu erlernen. Allerdings muß ich zugeben, daß dieser Anblick sogar in mir unfreundliche Gefühle weckt. Sie wirken alle so aufreizend selbstzufrieden!«
»Stragen, manchmal seid Ihr mit Euren Einsichten nicht zu ertragen!«
»Oh! Ihr seid wohl ein bißchen empfindlich heute?«
»Tut mir leid. Ich habe nur etwas in mir entdeckt, das mir gar nicht gefällt. Daher der Mißmut.«
Stragen seufzte. »Wir sollten es lieber bleiben lassen, uns ins Herz zu schauen. Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden gibt, dem alles gefällt, was er dort sieht.«
Sperber war nicht der einzige, der Schwierigkeiten hatte, die Stadt und ihre Bürger so zu nehmen, wie sie waren. Beviers Gesicht, das von Schock, ja Entrüstung gezeichnet war, verriet, daß sein Groll noch größer war als der der anderen.
»Hab' mal eine Geschichte gehört«, wandte Ulath sich auf seine entwaffnend direkte Art an ihn, die deutlicher als Worte signalisierte, daß er etwas klarmachen wollte. Ulath sprach fast nie, außer er wollte etwas klarmachen. »Es waren einmal ein Deiraner, ein Arzier und ein Thalesier. Sie redeten alle in ihren heimischen Mundarten. Dann fingen sie an zu streiten, in welchem dieser Dialekte Gott sprach. Schließlich einigten sie sich darauf, nach Chyrellos zu reisen und den Erzprälaten zu bitten, Gott zu fragen.«
»Und?« Bevier blickte ihn ungeduldig an.
»Nun, jedermann weiß, daß Gott die Fragen des Erzprälaten immer beantwortet. Deshalb erfuhr er es, und damit war der Streit ein für alle Male beendet.«
»Und?«
»Und was?«
»Welche Mundart spricht Gott?«
»Thalesische, natürlich. Das weiß doch jeder, Bevier.« Ulath brachte es fertig, so etwas zu sagen, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wie sollte es auch anders sein? Gott war ein genidianischer Ritter, ehe er beschloß, sich des Universums anzunehmen. Ich wette, das hast du nicht gewußt.«
Bevier starrte ihn für einen Moment an, dann lachte er ein wenig verlegen.
Ulath blickte Sperber an und zwinkerte ihm unmerklich zu. Wieder einmal fand Sperber, daß er seinen thalesischen Freund neu einschätzen mußte.
Sephrenia hatte ein Haus in Sarsos – eine weitere Überraschung für Sperber und seine Gefährten. Sie hatte immer den Eindruck erweckt, als würde sie auf irdischen Besitz keinen Wert legen. Das Haus war von beachtlicher Größe und stand inmitten eines Parks, dessen hohe alte Bäume den sanft abfallenden Rasenflächen, dem blühenden Garten und plätschernden Springbrunnen Schatten schenkten. Wie alle Gebäude in Sarsos schien auch Sephrenias Haus aus Marmor erbaut,
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