Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
einem keine Ruhe, wenn man in einer so wichtigen Sache wie der Zahl getöteter Feinde nicht sicher sein kann.« Sie legte eine Pause ein, um ihre Gedanken zu sammeln. »Danach tötete ich fast ein halbes Jahr keinen Gegner mehr. Die Arjuni verschleppten mich nach Tiana im Süden. Während der ganzen Reise vergoß ich keine Träne. Es wäre falsch, den Feind erkennen zu lassen, daß man leidet. In Tiana brachten die Arjuni mich auf den Sklavenmarkt und verkauften mich an einen dazitischen Kaufmann namens Pelaser. Er war fett und schmierig, roch schlecht und mochte Kinder.«
»Dann war er wohl ein gütiger Herr?« fragte Baroneß Melidere.
»Das habe ich damit nicht gemeint, Melidere. Pelaser mochte kleine Jungen und Mädchen auf abartige Weise. Die Arjuni hatten ihn vor mir gewarnt. Darum sorgte er dafür, daß ich an kein Messer herankam; nur einen Löffel gab er mir, damit ich essen konnte. Pelaser nahm mich mit zu seinem Haus in Verel in Dakonien, und ich nutzte die lange Reise, den Löffelgriff so an meinen Ketten zu schleifen, daß er eine scharfe Schneide bekam. In Verel kettete Pelaser mich an die Wand einer Kammer im hinteren Teil des Hauses. Die Kammer hatte einen Steinboden, und ich verbrachte die ganze Zeit damit, an meinem Löffel zu arbeiten. Ich hing inzwischen sehr an ihm.« Sie bückte sich leicht, und ihre Hand glitt in ihren Stiefelschaft. »Ist er nicht schön?« Sie hielt einen ganz normal aussehenden Löffel mit Holzgriff in die Höhe; dann faßte sie ihn mit beiden Händen, drehte den Griff leicht und zog ihn vom Löffelstiel. Der einstige Löffelgriff war dünn und schmal und besaß eine nadelfeine Spitze. Mirtai hatte ihn poliert, bis er wie Silber glänzte. Nun betrachtete sie ihn kritisch. »Er ist nicht ganz lang genug, das Herz eines Mannes zu erreichen«, sagte sie beinahe entschuldigend. »Man kann nicht sauber damit töten, aber für Notfälle ist er geeignet. Er sieht so sehr wie ein ganz gewöhnlicher Löffel aus, daß niemand je daran dächte, ihn mir wegzunehmen.«
»Brillant«, murmelte Stragen bewundernd. »Stiehl uns ein paar Löffel, Talen, dann machen wir uns gleich an die Arbeit.«
»Eines Nachts kam Pelaser zu mir und wollte Hand an mich legen«, fuhr Mirtai fort. »Ich saß ganz still. Da dachte er, ich würde mich nicht wehren. Er fing zu lächeln an. Mir fiel auf, daß ihm Speichel aus den Mundwinkeln lief, wenn er auf diese Weise lächelte. Er lächelte immer noch so, als ich ihm beide Augen ausstach. Habt ihr gewußt, daß die Augen eines Menschen platzen, wenn man mit etwas Scharfem sticht?«
Melidere gab einen würgenden Laut von sich und starrte die gelassene Atanerin mit unverhohlenem Entsetzen an.
»Pelaser wollte schreien«, fuhr Mirtai ungerührt fort, »doch ich schlang meine Kette um seinen Hals, so daß er keinen Laut hervorbrachte. Eigentlich wollte ich ihn in kleine Stücke hacken, aber ich mußte die Kette mit beiden Händen halten. Er fing an, sich zu wehren. Da blieb mir nichts übrig, als die Kette fester zuzuziehen.«
» Ja! « Erstaunlicherweise kam dieser heisere Beifallsruf diesmal von Ehlanas rehäugiger Kammermaid Alean, und sie umarmte die verdutzte Atana unerwartet heftig.
Mirtai strich zärtlich über die Wangen des sonst so sanften Mädchens, bevor sie weitererzählte. »Pelaser wehrte sich anfangs mit allen Kräften, hörte jedoch nach einer Weile auf. Er hatte die Kerze umgestoßen, deshalb war es dunkel in der Kammer und ich konnte nicht sicher sein, daß er bereits tot war. Ich hielt die Kette bis zum Morgen um seinen Hals zugezogen. Sein Gesicht war schwarz, als die Sonne aufging.«
»Wohlgetan, meine Tochter«, lobte Engessa sie stolz.
Mirtai lächelte und verneigte sich vor ihm. »Ich dachte, man würde mich hinrichten, sobald man den toten Pelaser entdeckte, doch die Süddaziter in den Städten sind eigenartige Menschen. Pelaser war in Verel nicht sehr beliebt. Ich glaube, viele freuten sich insgeheim darüber, daß eines der Kinder, die er üblicherweise schändete, ihn endlich umgebracht hatte. Sein Erbe war ein Neffe namens Gelan. Er war sehr dankbar, daß ich ihn reich gemacht hatte, und legte bei der Obrigkeit ein gutes Wort für mich ein.« Sie machte eine Pause und blickte auf die Prinzessin, die noch auf ihrem Schoß kuschelte und den glänzenden kleinen Dolch hielt. »Bist du so lieb und holst mir Wasser, Danae?« bat sie. »Ich bin es nicht gewöhnt, so viel zu reden.«
Danae rutschte gehorsam von ihrem Schoß und
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