Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
ein. »Was meint Ihr, Botschafter Oscagne? Würden die Ataner ein heiliges Ritual durch einen solchen Firlefanz entweihen?«
Der Tamuler schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall, Ritter Tynian. Der Ritus ist in ihrer Kultur etwas so Bedeutsames wie eine Hochzeit oder eine Bestattung. Die Ataner würden ihn nie auf solche Weise ausschmücken, nur um Fremde zu beeindrucken. Und der Ritus wurde ja nicht unseretwegen zelebriert. Die Zeremonie galt allein Atana Mirtai.«
»Eben«, bestätigte Khalad. »Und wenn es versteckte Drähte gegeben hätte, die von den Ästen herunterhingen, hätte sie es bemerken müssen. So etwas hätten die Ataner ihr nicht angetan. Ein solcher Schwindel wäre eine Beleidigung gewesen, und wir wissen alle, wie Ataner auf eine Beleidigung reagieren.«
»Norkan wird bald hier sein«, sagte Oscagne. »Er lebt schon eine geraume Weile in Atan. Ich bin sicher, er kann es uns erklären.«
»Magie kann's nicht gewesen sein«, beharrte Zalasta, dem die Feststellung aus irgendeinem Grund offenbar sehr wichtig war. Sperber fragte sich, ob es etwas mit Rassenstolz zu tun hatte. Solange Styriker die einzigen waren, die Magie wirken oder andere darin unterrichten konnten, waren sie einmalig auf der Welt; anderenfalls würden sie an Bedeutung verlieren.
»Wie lange werden wir hierbleiben?« fragte Kalten. »Es ist ein gefahrvoller Ort. Irgendein junger Ritter oder Peloi wird früher oder später über die Stränge schlagen, und wenn die Ataner dies als tödliche Beleidigung auffassen, wird die ganze Freundlichkeit wie Schnee in der Sonne dahinschmelzen. Dann könnte der Fall eintreten, daß wir uns mit dem Schwert den Weg aus der Stadt bahnen müssen.«
»Auch in dieser Hinsicht wird Norkan uns beraten können«, meinte Oscagne. »Wir dürfen die Ataner auch nicht dadurch beleidigen, daß wir die Stadt zu früh verlassen.«
»Wie weit ist es von hier nach Matherion, Oscagne?« erkundigte sich Emban.
»Etwa fünfzehnhundert Meilen.«
»Fast noch zwei Monate« klagte Emban. »Es kommt mir jetzt schon vor, als wären wir Jahre unterwegs.«
»Aber Ihr seht viel rüstiger aus, Eminenz«, warf Bevier ein.
»Ich lege gar keinen Wert darauf, rüstig auszusehen, Bevier. Ich will fett aussehen! Faul und verweichlicht! Ich will fett und faul und verweichlicht sein! Und ich möchte eine anständige Mahlzeit mit viel Butter und Soße und Leckerbissen und edlen Weinen!«
»Es war Euer eigener Entschluß, uns zu begleiten, Eminenz«, erinnerte Sperber ihn.
»Ich muß verrückt gewesen sein!«
Botschafter Norkan kam sichtlich amüsiert durch das Peloilager zu ihnen herüber.
»Was findest du so komisch?« fragte Oscagne ihn.
»Ich habe bei etwas sehr Lustigem zugeschaut, alter Junge.« Er feixte. »Ich hatte ganz vergessen, daß Elenier manches sehr wörtlich nehmen können. Eine Schar atanischer Maiden hat sich an den jungen Ritter Berit herangemacht und ihr brennendes Interesse an Waffen aus den westlichen Reichen bekundet. Die jungen Damen hatten offenbar Privatunterricht an irgendeinem verschwiegenen Plätzchen erhofft, wo Berit ihnen seine Ausrüstung ungestört vor Augen führen könnte.«
»Norkan!« tadelte Oscagne ihn lächelnd.
»Habe ich irgend etwas Falsches gesagt, alter Junge? Ich fürchte, mein Elenisch ist ein wenig eingerostet. Nun, jedenfalls veranstaltet Ritter Berit eine Demonstration für die gesamte Heerschar. Sie sind nun allesamt außerhalb der Stadtmauer, und Berit erteilt ihnen Unterricht im Bogenschießen!«
»Wir müssen mit dem Jungen ein paar ernste Worte unter vier Augen reden«, sagte Kalten zu Sperber.
»Nein. Ich wurde gebeten, es nicht zu tun«, wehrte Sperber ab. »Meine Gemahlin und die anderen Damen möchten Berits Unschuld bewahren. Das scheint ihnen irgendwie wichtig zu sein.« Er blickte Norkan an. »Vielleicht könntet Ihr eine kleine Meinungsverschiedenheit für uns schlichten, Exzellenz.«
»Ich bin ein guter Schlichter, Ritter Sperber. Das macht zwar nicht soviel Spaß, wie einen Krieg anzuzetteln, aber der Kaiser zieht eine Befriedung vor.«
»Was ist vergangene Nacht wirklich geschehen, Botschafter Norkan?« fragte Vanion.
»Atana Mirtai wurde zur Erwachsenen.« Norkan zuckte die Schultern. »Ihr wart dabei, Hochmeister Vanion. Was ich gesehen habe, habt Ihr auch gesehen.«
»Allerdings. Und jetzt hätte ich gern eine Erklärung. Ist beim Höhepunkt der Zeremonie tatsächlich eine Sternschnuppe vom Himmel gefallen? Und ist der Goldreif wirklich vom
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