Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
offenbar nicht gern zu, daß sie selbst nicht weiterwissen und um Hilfe von auswärts bitten mußten.«
Sperber nickte. »Das haben wir schon einmal erlebt«, murmelte er. »Es hat auch Oscagne zu schaffen gemacht, als er in Chyrellos mit uns sprach. In dieser Situation erscheint es mir allerdings etwas kurzsichtig. Schließlich sind die Ataner die Armee der Tamuler. Es ist doch im Grunde genommen unsinnig, ihnen Geheimnisse vorzu enthalten.«
»Seid Ihr etwa der Meinung, Politik ist etwas Sinnvolles, Sperber?«
Er lachte.
»Ihr habt mir gefehlt, kleine Mutter.«
»Das will ich hoffen!«
König Androls Gesicht war ernst, ja, finster, als Oscagne berichtete, was sie in Astel festgestellt hatten. Königin Betuanas Miene war ein wenig weicher – hauptsächlich, weil Danae auf ihrem Schoß saß, eine Eigenart, die Sperber schon häufig bei seiner Tochter beobachtet hatte. Wann immer die Situation angespannt zu werden drohte, hielt Danae nach einem Schoß Ausschau, und die Erwählten entsprachen ausnahmslos ihrer unausgesprochenen Bitte, auf diesem Schoß sitzen zu dürfen, ohne darüber nachzudenken. »Das tut sie mit Bedacht, nicht wahr?« flüsterte er Sephrenia zu.
»Ich fürchte, ich weiß nicht, was Ihr meint, Sperber.«
»Aphrael. Sie setzt sich bei irgend jemandem auf den Schoß, um ihn zu beeinflussen.«
»Ja, natürlich. Körperliche Berührung ist wesentlich wirkungsvoller als geistige – und unauffälliger.«
»Deshalb ist Aphrael immer Kind geblieben, nicht wahr? Damit sie sich Erwachsenen gegenüber wie ein Kind verhalten kann?«
»Nun, das ist einer der Gründe.«
»Das wird aber nicht mehr möglich sein, wenn sie größer wird, wißt Ihr.«
»Und ob ich das weiß, Sperber. Ich bin jetzt schon sehr neugierig, wie sie dieses Problem lösen wird. Ah, Oscagne kommt zur Sache. Er ersucht Androl um einen Bericht über Vorfälle, die jenen entsprechen, auf die ihr gestoßen seid.«
Norkan trat vor, um für Androl zu übersetzen, und Oscagne trat zu den Eleniern, um das gleiche für sie zu tun. Die Tamuler hatten die lästige, aber notwendige Fähigkeit zu übersetzen zur Vollkommenheit gebracht, so daß es rasch und wie selbstverständlich vonstatten ging.
König Androl dachte kurz nach. Dann lächelte er Ehlana an und sprach mit sehr sanfter Stimme in Tamulisch zu ihr.
»Folgendes sagt der König«, dolmetschte Norkan. »Wie gerne heißen wir Ehlana-Königin wieder willkommen, denn ihre Anwesenheit ist wie Sonnenschein nach einem langen Winter.«
»Oh, wie herzerwärmend!« murmelte Sephrenia. »Wir achten viel zu wenig auf die poetische Ader der Ataner.«
»Und eine Freude ist es uns auch, die sagenhaften Krieger des Westens und den Weisen der Chyrellos-Kirche bei uns haben zu dürfen.« Norkan übersetzte offenbar wörtlich.
Emban neigte höflich den Kopf.
»Deutlich sehen wir die gemeinsame Sorge in dieser Angelegenheit, und unerschütterlich werden wir mit den Westkriegern Seite an Seite stehen, wo es erforderlich ist.«
Androl sprach weiter und legte nur hin und wieder eine kurze Pause für den Übersetzer ein. »Seit einiger Zeit erfüllt es uns mit Unruhe, daß wir die Aufgaben, die uns von unseren MatherionGebietern gestellt wurden, nicht mehr bewältigen konnten. Das macht uns sehr zu schaffen, denn wir sind Mißerfolge nicht gewöhnt.« Bei diesem Geständnis machte Androl einen etwas verlegenen Eindruck. »Ich bin sicher, Ehlana-Königin, daß OscagneKaisersprecher Euch von unseren Schwierigkeiten in Teilen Tamulis, außerhalb unserer eigenen Grenzen, erzählt hat. Wir müssen beschämt eingestehen, daß dies der Wahrheit entspricht.«
Königin Betuana flüsterte ihrem Gemahl rasch etwas zu.
»Sie sagte ihm, er solle sich kürzer fassen«, murmelte Sephrenia Sperber zu. »Offenbar ärgert sie sich über seine blumige Ausdrucksweise.«
Androl sagte etwas zu Norkan, das wie eine Entschuldigung klang.
»Das ist erstaunlich«, murmelte Norkan diesmal, offensichtlich zu sich selbst. »Der König hat soeben eingestanden, daß er mir etwas verschwiegen hat. Das ist ungewöhnlich.«
Wieder sprach Androl. Norkan übersetzte nunmehr im Umgangston, da der atanische König jetzt offenbar auf Förmlichkeit verzichtete. »Er sagt, daß es auch hier in Atan derartige Vorfälle gegeben habe. Das ist eine innere Angelegenheit, und deshalb war er nicht verpflichtet, mich darüber zu informieren. Der König sagt, sie hätten es mit Kreaturen zu tun gehabt, die er die ›Zotteligen‹ nennt.
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