Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
als wir einen von ihnen töteten.«
König Androl war nicht zugegen. Seine geistigen Qualitäten waren beschränkt, und es war ihm lieber, wenn seine Gemahlin sich der Staatsgeschäfte annahm. Der atanische König sah sehr eindrucksvoll aus. Doch seine besten Auftritte hatte er bei zeremoniellen Anlässen; denn da waren keine Überraschungen zu erwarten.
»Frag sie, ob auch weiter im Süden Trolle gesichtet wurden«, murmelte Sperber seiner Gemahlin zu.
»Warum fragst du sie nicht selbst?«
»Wir wollen die Form wahren, Ehlana. Im Grunde genommen ist dies ein Gespräch zwischen euch beiden. Ich glaube nicht, daß wir anderen uns einmischen sollten. Gehen wir lieber nicht das Risiko ein, irgendeine Etikette zu verletzen, von der wir nichts wissen.«
So stellte Ehlana die Frage, und Oscagne übersetzte.
»Nein«, dolmetschte Norkan Betuanas Antwort. »Die Trolle haben sich offenbar in den Wäldern entlang der Nordhänge niedergelassen. Soweit wir wissen, sind sie nicht weiter vorgedrungen.«
»Sie sollen die Bevölkerung warnen, daß Trolle sich in Wäldern sehr gut verstecken können«, riet Ulath.
»Das können wir auch«, kam die übersetzte Entgegnung.
»Fragt sie, ob ein taktischer Rat sie kränken würde«, bat der genidianische Ritter seufzend. »Wir Thalesier haben viel Erfahrung mit Trollen – und die meisten unserer Begegnungen waren nicht gerade angenehm.«
»Wir sind stets gern bereit, auf die Stimme der Erfahrung zu hören«, antwortete die atanische Königin.
»Wenn wir in Thalesien Trolle sehen, ziehen wir uns für gewöhnlich ein Stück zurück und schießen ihnen ein paar Pfeile in den Pelz«, sagte Ulath zu Ehlana. »Töten kann man sie damit nicht, denn ihr Fell und ihre Haut sind zu dick, aber es macht sie ein wenig langsamer. Trolle sind viel, viel flinker, als man ihrem Aussehen nach schließen würde, und sie haben sehr lange Arme. Sie können einen Reiter schneller aus dem Sattel ziehen, als der Beklagenswerte blinzeln kann.«
Ehlana wahrte den förmlichen Rahmen des Gesprächs, indem sie Ulaths Worte für ihren Dolmetscher wiederholte.
»Was macht ein Troll dann?« fragte Betuana interessiert.
»Zuerst reißt er seinem Gefangenen den Kopf ab, dann verschlingt er die übrigen Körperteile. Aus irgendeinem Grund fressen Trolle keine Köpfe.«
Unwillkürlich würgte Ehlana.
»Wir benutzen Bogen nicht im Kampf«, übersetzte Norkan Betuanas fließendes Tamulisch, »nur bei der Jagd, um Tiere als Nahrung zu erlegen.«
»Nun«, meinte Ulath ein wenig zweifelnd, »man könnte einen Troll wahrscheinlich essen, wenn man möchte. Aber ich weiß nicht, ob er gut schmeckt.«
»Ich weigere mich, das zu wiederholen, Ritter Ulath!« entrüstete sich Ehlana.
»Fragt, ob in der atanischen Kultur Wurfspeere Kampfwaffen sind«, schlug Tynian vor.
»Ich glaube schon«, antwortete Norkan. »Ich habe Ataner mit Wurfspeeren üben sehen.«
Betuana sprach rasch und lange auf ihn ein.
»Ihre Majestät ersuchte mich, ihre Worte zusammenzufassen«, sagte Norkan. »Die Sonne steht bereits hoch, und Ihre Majestät weiß, daß ihr aufbrechen wollt. Oscagne erwähnte eure Absicht, die Straße nach Lebas in Tamul zu nehmen. Die atanische Gesellschaft setzt sich aus einzelnen Clans zusammen, und jeder Clan hat sein eigenes Gebiet. Auf eurem Weg nach Osten werdet ihr von Clan zu Clan weitergeleitet. Es wäre eine Mißachtung der Etikette, würde ein Clan das Gebiet eines anderen betreten, und hier in Atan geht Etikette über alles.«
»Ich frage mich warum«, murmelte Stragen.
»Oscagne«, bat Norkan, »schick mir zwanzig Reichskuriere mit schnellen Pferden, sobald ihr wieder in die Zivilisation kommt. Ihre Majestät möchte während der Krise enge Verbindung zu Matherion halten.«
»Eine sehr gute Idee«, lobte Oscagne und versprach, ihm die Kuriere so schnell wie möglich zu senden.
Dann erhob sich Betuana. Sie umarmte Ehlana und Mirtai herzlich und gab damit zu verstehen, daß es Zeit sei, ihre Reise gen Osten fortzusetzen.
»Dieser Besuch bei Euch wird mir immer in guter Erinnerung bleiben, liebe Betuana«, versicherte Ehlana.
»Ebenso wie mir, liebe Schwesterkönigin«, entgegnete Betuana in fast akzentfreiem Elenisch.
Ehlana lächelte. »Ich fragte mich schon, wie lange Ihr uns verheimlichen würdet, daß Ihr unserer Sprache mächtig seid, Betuana.«
Die atanische Königin blickte sie überrascht an. »Ihr habt es gewußt?«
Ehlana nickte. »Es ist sehr schwierig, Gesicht und Augen so im
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