Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Lehrer würden staunen – und argwöhnisch werden –, wenn sie plötzlich eine ganze Klasse von Wunderschülern vor sich hätten. Wir kümmern uns besser selbst darum, zumal dies für die notwendige Geheimhaltung sorgt. Ich werde unseren Schülern zunächst einen grauenhaften Akzent verleihen. Aber im Lauf der Zeit verbessern wir das.«
»Sephrenia?« sagte Kalten mit vorwurfsvoller Stimme.
»Ja, Lieber?«
»Ihr könnt jemandem eine Sprache mittels Magie beibringen?«
»Ja.«
»Warum habt Ihr Euch dann so viele Jahre damit abgeplagt, mich Styrisch zu lehren, und bei einem so hoffnungslosen Fall nicht längst eine Eurer Fingerübungen angewandt?«
»Kalten«, sagte sie geduldig, »weshalb habe ich versucht, Euch Styrisch zu lehren?«
»Damit ich im Notfall Magie anwenden könnte, nehme ich an.«
Er zuckte die Schultern. »Es sei denn, es macht Euch Spaß, andere leiden zu sehen.«
»Nein, Lieber. Ich habe ebenso gelitten wie Ihr.« Sie schauderte. »Mehr, wahrscheinlich. Ihr solltet in der Tat Styrisch lernen, um Euch mit Zaubersprüchen helfen zu können – aber dazu müßtet Ihr auch imstande sein, styrisch zu denken. Es genügt nicht, die Worte zu sprechen und zu erwarten, daß sie den gewünschten Zauber wirken.«
»Einen Moment!« protestierte Kalten. »Soll das heißen, daß Menschen, die andere Sprachen sprechen, auf andere Weise denken als wir?«
»Sie denken vielleicht auf dieselbe Weise, aber nicht in denselben Worten.«
»Wollt Ihr damit sagen, wir denken tatsächlich in Worten?«
»Natürlich. Jeder Gedanke besteht aus Worten.«
»Aber wir alle sind Menschen. Müßten wir da nicht auf die gleiche Weise und in derselben Sprache denken?«
Sephrenia blinzelte. »Und welche Sprache sollte das sein, Lieber?«
»Elenisch natürlich! Das ist der Grund dafür, daß Ausländer nicht so klug sind wie wir. Sie müssen ihre Gedanken erst aus dem Elenischen in das Gebrabbel übersetzen, das sie als Sprache bezeichnen. Das tun die Leute natürlich nur, weil sie stur sind.«
Sie starrte ihn mißtrauisch an. »Ihr meint das tatsächlich ernst, nicht wahr?«
»Selbstverständlich. Jeder weiß, daß Elenier ihrer Sprache wegen die klügsten Menschen auf der Welt sind.« Sein Gesicht wirkte vollkommen offen und ehrlich.
»Wofür Ihr ein leuchtendes Beispiel seid«, seufzte Sephrenia, der Verzweiflung nahe.
Melidere schlüpfte in ein lavendelfarbenes Gewand und trippelte, mit einem blauen Satinwams über einem Arm, zu den Privatgemächern des Kaisers. Mirtai folgte ihr mit stampfenden Schritten. Melidere war ein anbetungswürdiger Anblick – großäugig, ganz von ihrer Aufgabe erfüllt, die Zähne leicht in die Unterlippe gegraben, als wäre sie in ihrer scheinbaren Einfalt atemlos vor Aufregung. Kaiser Sarabians Höflinge beobachteten die wiegenden Hüften der Baroneß mit großem Interesse. Nicht einer achtete darauf, was sie mit den Händen tat.
Sie überreichte dem Kaiser das Geschenk mit gehauchter kurzer Rede, die Mirtai übersetzte. Der Kaiser bedankte sich sehr förmlich. Melidere machte einen Knicks, dann trippelte sie zur elenischen Burg zurück.
Die Höflinge waren immer noch hingerissen von ihrem Hüftwackeln – obwohl sie inzwischen bereits reichlich Gelegenheit gehabt hatten, selbiges zu bewundern.
»Es ging alles glatt«, berichtete die Baroneß zufrieden.
»Dann hatte Euer körperlicher Einsatz die erwartete Wirkung?« fragte Stragen.
»Das kann man wohl sagen«, warf die Atana ein. »Eine Menge Höflinge sind ihr hinterhergeschlichen, weil sie nicht genug kriegen konnten. Melidere ist eine begnadete Hüftwacklerin. Es sah aus, als würden sich unter ihrem Gewand zwei Katzen in einem Rupfensack raufen.«
»Auch wir sollten uns unserer gottgegebenen Fähigkeiten bedienen, meint Ihr nicht, Eminenz?« wandte das blonde Mädchen sich scheinheilig an Emban.
»Unbedingt, mein Kind«, bestätigte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Botschafter Oscagne erschien etwa fünfzehn Minuten später mit einem Alabasterkästchen auf einem blauen Samtkissen. Ehlana nahm die Botschaft des Kaisers aus dem Kästchen.
» Ehlana«, las sie laut. » Eure Nachricht hat mich unbehindert erreicht. Ich habe den Eindruck, daß meine Hofherren die Baroneß nicht nur nicht aufhalten werden, wenn sie durch die Korridore trippelt, sondern ihr Recht, dies zu tun, notfalls sogar leidenschaftlich verteidigen würden. Wie schafft das Mädchen es bloß, so vieles gleichzeitig zu bewegen? Unterzeichnet: Sarabian.
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