Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
ernsthaft nachgingen und die Tage zählten, würde nicht verborgen bleiben, daß jemand die Zeit beeinflußt hatte. »Wir befinden uns hier in einem anderen Teil der Welt, Tynian«, sagte Sperber, »da ist natürlich auch das Klima anders.«
»Sommer ist Sommer, Sperber, und kein Sommer dauert ewig.«
»Mit dem Klima ist es so eine Sache«, widersprach Ulath, »erst recht an einer Küste. Entlang der Westküste von Thalesien verläuft eine warme Strömung. In Yosut an der Ostküste kann eisiger Winter herrschen, in Horset dagegen mildes Herbstwetter.«
Guter alter Ulath, dachte Sperber erleichtert.
»Ich finde es trotzdem ein wenig merkwürdig«, brummte Tynian zweifelnd.
»Dir kommt vieles merkwürdig vor, alter Freund.« Ulath lächelte. »Ich habe dich schon sehr oft eingeladen, mit mir auf Ogerjagd zu gehen, und jedesmal hast du abgelehnt.«
»Warum Oger töten, wenn man sie nicht essen kann?« Tynian zuckte die Schultern.
»Die Zemocher, die du getötet hast, sind ja auch nicht im Topf gelandet.«
»Weil ich kein gutes Rezept hatte, sie zuzubereiten.«
Alle lachten, und Sperber war erleichtert, daß niemand mehr über den seltsam langen Sommer nachzudenken schien.
In diesem Augenblick kam Talen in die Halle. Wie üblich hatte er die Spitzel des Reichsverwesers gleich am Morgen abgehängt und sich unbeobachtet in der Stadt umgesehen.
»Überraschung!« sagte er trocken. »Krager hat es endlich nach Matherion geschafft. Ich hab' mir schon Sorgen um ihn gemacht.«
»Jetzt reicht's!« Sperber schlug die Faust auf die Armlehne seines Sessels. »Ich habe allmählich die Nase voll von ihm!«
»Wir hatten bisher wirklich keine Zeit, uns um ihn zu kümmern, Ritter Sperber«, erinnerte Khalad.
»Vielleicht hätten wir uns diese Zeit nehmen sollen. Das wollte ich eigentlich schon, als wir ihn in Sarsos gesehen haben. Jetzt, da wir uns hier für eine Weile niedergelassen haben, könnten wir ein wenig Zeit und Energie aufwenden, um seiner habhaft zu werden. Zeichne ein paar Bilder von ihm, Talen, verteile sie und versprich eine Belohnung für brauchbare Hinweise.«
»Ich weiß, wie man das anpackt, Sperber.«
»Worauf wartest du dann noch? Ich möchte dieses besoffene Wiesel endlich in die Hände kriegen. Er weiß ein paar Dinge, die auch ich wissen möchte. Ich werde die schnapsgetränkte Haut dieses Kerls bis auf den letzten Tropfen auswinden!«
»Unser Freund ist ziemlich gereizt heute, nicht wahr?« sagte Tynian zu Kalten.
»Er hat einen schlechten Tag.« Kalten zuckte die Schultern. »Bei seinen Begleiterinnen mußte er einen unerwarteten Hang zur Grausamkeit entdecken, und das macht ihm zu schaffen.«
»Ach?«
»In Cimmura gibt es einen Grafen, der den Tod verdient hat.
Wenn ich erst wieder daheim bin, werde ich ihm seinen Schniedel absäbeln, bevor ich ihn in kleine Stücke schneide. Die Damen hielten das für eine großartige Idee – und Sperber war um ein paar Illusionen ärmer.«
»Was hat der Kerl denn getan?«
»Das ist eine sehr private Angelegenheit.«
»Oh. Aber zumindest Sephrenia war doch gleicher Meinung wie unser berühmter Führer?«
»Eben nicht! Sie war sogar noch blutrünstiger als die anderen. Sie hat später noch einige Vorschläge zur Behandlung des Grafen geäußert, die sogar Mirtai erblassen ließen.«
»Der Kerl muß ja wirklich etwas Furchtbares getan haben!«
»Das hat er, mein Freund, und ich werde ihm viele Stunden Zeit lassen, es zu bedauern.« Kaltens blaue Augen erinnerten plötzlich an Gletschereis, seine Nasenflügel waren weiß, und die Lippen verkniffen vor unterdrücktem Zorn.
»Ich hab' nichts getan, Kalten«, versicherte Tynian, »also guck nicht mich so an!«
»Verzeih«, entschuldigte sich Kalten. »Ich kann mich kaum beherrschen, wenn ich nur daran denke.«
»Dann laß es lieber.«
Die Aussprache der Sprachschüler ließ immer noch zu wünschen übrig – dafür hatte Sephrenia gesorgt –, aber sie hatten kaum noch Schwierigkeiten, Tamulisch zu verstehen. »Sind wir soweit?« fragte Sperber seine Lehrerin eines Abends.
»Sofern Ihr nicht beabsichtigt, öffentliche Reden zu halten, Prinz Sperber«, warf Kaiser Sarabian ein, der ihnen wieder einmal einen seiner Wirbelwindbesuche abstattete. »Euer Akzent ist einfach schauderhaft!«
»Ich will hinaus, um zu lauschen, Majestät«, erklärte Sperber, »nicht, um mich zu unterhalten. Sephrenia und Zalasta tarnen unseren ungewöhnlichen Fortschritt mit dem Akzent.«
»Ich wollte, Ihr hättet mir
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