Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
verurteilen würde.
»Ich beschuldige niemanden«, sagte Vanion, »also nehmt das bitte nicht persönlich. Doch auf irgendeine Weise dringt etwas über unsere Pläne nach außen. Daher bin ich der Meinung, wir alle sollten schwören, daß wir nichts, was wir hier besprechen, außerhalb dieses Raums erwähnen.«
»Ein Schweigeeid, Hochmeister Vanion?« fragte Kalten sichtlich überrascht. Diese pandionische Tradition war im vergangenen Jahrhundert abgeschafft worden.
»Nun, jedenfalls etwas Ähnliches. Schließlich sind wir nicht alle Pandioner.« Er blickte in die Runde. »Also gut, fassen wir die Situation zusammen. Hier in Matherion ist zweifellos weit mehr im Spiel als nur Spionage. Ich glaube, wir müssen uns auf einen Angriff auf das Schloß gefaßt machen. Unser Feind wird offenbar ungeduldig.«
»Oder hat Angst«, meinte Oscagne. »Die Anwesenheit der Ordensritter – und Prinz Sperbers – hier in Matherion stellt eine Bedrohung für ihn dar. Mit Terror, Unruhen und Aufständen in den einzelnen Königreichen des Imperiums ist er bisher recht erfolgreich gewesen, doch nun scheint sich etwas ergeben zu haben, was raschere Fortschritte erfordert. Jetzt muß er gegen das Zentrum imperialer Macht losschlagen.«
»Und direkt gegen mich, nehme ich an«, fügte Kaiser Sarabian hinzu.
»Das ist ganz und gar unvorstellbar, Majestät«, widersprach Oscagne. »In der langen Geschichte des Imperiums hat noch nie jemand die Person des Kaiser bedroht.«
»Bitte, Oscagne«, sagte Sarabian ein wenig ungehalten, »behandelt mich nicht wie einen Idioten. Mehr als einer meiner Vorgänger hatte einen ›Unfall‹ oder starb an einer eigenartigen ›Krankheit‹. Man hat sich auch in früheren Zeiten schon des öfteren unbequemer Kaiser entledigt.«
»Doch nie so offen, Majestät. Das ist schrecklich unhöflich.«
Sarabian lachte. »Ich bin sicher, daß die drei Reichsminister, die meinen Ururgroßvater vom höchsten Turm des Schlosses warfen, es dabei nicht an allergrößter Höflichkeit mangeln ließen, Oscagne. Diesmal müssen wir also mit bewaffneten Pöbelhaufen auf den Straßen rechnen, die alle lautstark nach meinem Blut schreien?«
»Ich würde die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, Majestät«, warf Vanion ein.
»Ich hasse es!« brummte Ulath verärgert.
»Was haßt du?« fragte Kalten.
»Ist das nicht offensichtlich? Wir haben hier eine elenische Burg.
Sie ist vielleicht nicht ganz so gut wie eine Burg, die Bevier hätte erbauen lassen, dennoch ist sie eines der bestbefestigten Gebäude Matherions. Uns bleiben drei Tage, bis die Straßen sich mit bewaffneten Bürgern füllen. Das läßt uns keine große Wahl. Wir müssen uns in diesen Mauern verschanzen, bis die Ataner wieder Ruhe und Ordnung herstellen können. Ich verabscheue Belagerungen!«
»Ich glaube, so weit wird es nicht kommen, Ritter Ulath«, widersprach Oscagne. »Als ich von der Nachricht erfuhr, die Meister Caalador entdeckt hat, sandte ich einen Kurier nach Norkan in Atana. Dort sind, keine sechzig Meilen von hier, zehntausend Ataner stationiert. Die Verschwörer werden an dem bestimmten Tag vor Einbruch der Dunkelheit nichts unternehmen. Ich kann die Straßen noch vor Mittag dieses Tages mit sieben Fuß großen Atanern überschwemmen. Der beabsichtigte Überraschungsschlag ist praktisch schon gescheitert, bevor er richtig begonnen hat.«
»Und damit ist die Chance vertan, alle Gegner zu fassen?« protestierte Ulath. »Das ist militärisch nicht gut durchdacht, Exzellenz. Diese Burg läßt sich ausgezeichnet verteidigen. Bevier könnte sie mindestens zwei Jahre halten.«
»Fünf!« berichtigte Bevier. »Innerhalb der Mauern gibt es einen Brunnen, so daß wir drei Jahre länger durchhalten könnten.«
»Um so besser. Wir werden so unauffällig wie möglich, hauptsächlich des Nachts, an der Befestigung arbeiten«, fuhr Ulath fort. »Wir schaffen Fässer mit Pech und Naphta herbei. Bevier baut die Maschinen. Dann, kurz ehe die Sonne untergeht, schaffen wir die gesamte Regierung und die reguläre atanische Garnison in die Burg. Der Mob wird die Schloßanlage stürmen und durch die Reichsgebäude wüten. Er wird auf keinen Widerstand stoßen – bis er hierherkommt. Er wird gegen unsere Mauern anrennen, siegessicher, weil sich ihm in den anderen Gebäuden niemand in den Weg gestellt hat. Bestimmt wird der Pöbel keinen Hagel großer Steine und keinen Regen aus siedendem Pech erwarten. Nimmt man die Tatsache hinzu, daß die Armbrüste des
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