Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Feldzug. Da Pelk den genauen Ort des Lagers der Dissidenten beschreiben konnte und Platimes Männer alle anderen Verstecke in den Bergen ringsum kannten, blieb den Banditen keine Möglichkeit mehr, sich zu verkriechen. Zudem waren sie den dreißig Pandionern in schwarzer Rüstung, mit denen Sperber, Kalten und Ulath angerückt kamen, nicht gewachsen. Die überlebenden Edelleute wurden dem Gericht der Königin überstellt, und der Rest der Gesetzlosen den örtlichen Ordnungshütern übergeben.
»Nun, Graf von Belton«, sagte Sperber zu einem Edlen, der mit einem blutigen Verband um den Kopf und auf den Rücken gebundenen Händen vor ihm auf einem Baumstumpf hockte, »es lief wohl nicht alles wie erwartet, nicht wahr?«
»Seid verflucht, Sperber!« Belton spuckte in weitem Bogen aus und blinzelte in die Nachmittagssonne. »Wie habt Ihr uns aufgespürt?«
Sperber lachte. »Mein teurer Belton, habt Ihr Euch etwa eingebildet, Ihr könntet Euch vor meiner Gemahlin verstecken? Sie hat ein sehr persönliches Interesse an ihrem Reich. Sie kennt jeden Baum, jede Stadt, jedes Dorf und jeden einzelnen Bauern. Man erzählt sich sogar, daß sie die meisten Rehe beim Namen nennen könnte, wenn sie wollte.«
»Dann wärt Ihr nicht erst jetzt gekommen!« höhnte Belton.
»Die Königin war beschäftigt. Aber nun fand sie endlich Zeit, Entscheidungen über Euch und Eure Freunde zu treffen. Ich fürchte allerdings, sie werden Euch nicht gefallen, alter Junge. Mich interessiert im Grunde genommen nur, was Ihr über Krager wißt. Ich habe ihn schon geraume Zeit nicht mehr gesehen und stelle fest, daß mich wieder nach seiner Gesellschaft verlangt.«
Beltons Augen wurden weit vor Angst. »Ihr werdet nichts aus mir herausbekommen, Sperber«, prahlte er.
»Wieviel würdet Ihr darauf wetten?« fragte Kalten ihn. »Ihr erspart Euch eine Menge Unannehmlichkeiten, wenn Ihr Sperber sagt, was er wissen will. Und Krager ist doch nun wirklich nicht so liebenswert, daß Ihr seinetwegen etwas so Unangenehmes auf Euch nehmen wollt.«
»Redet, Belton«, forderte Sperber ihn unerbittlich auf.
»Ich – ich kann nicht !« Beltons prahlerischer Hohn schwand. Sein Gesicht wurde totenbleich. Er begann heftig zu zittern. »Sperber, ich flehe Euch an! Mein Leben ist verwirkt, wenn ich etwas sage!«
»Euer Leben ist ohnehin nicht mehr viel wert«, warf Ulath barsch ein. »So oder so – Ihr werdet reden.«
»Um Gottes willen, Sperber! Ihr wißt ja nicht, was Ihr da verlangt!«
»Ihr habt keine Wahl, Belton«, entgegnete Sperber mit düsterem Gesicht.
Übergangslos, ohne Vorwarnung, hüllte plötzlich eine tödliche Kälte den Wald ein, und die Nachmittagssonne verdunkelte sich. Sperber hob den Blick. Der Himmel war blau, doch die Sonne sah blaß und kränklich aus.
Belton schrie gellend.
Eine tintige Wolke schien von den Bäumen ringsum loszuschnellen und sich um den brüllenden Gefangenen zusammenzuziehen. Verblüfft fluchend, sprang Sperber zurück. Seine Hand fuhr an den Schwertgriff.
Beltons Stimme war zu einem Kreischen geworden, und aus der nun undurchdringlichen Finsternis um ihn herum drangen grauenvolle Laute – wie von berstenden Knochen und zerreißendem Fleisch. Die Schreie verstummten abrupt, doch die gräßlichen Laute waren noch minutenlang zu vernehmen. Dann verschwand die Wolke so schnell, wie sie gekommen war.
Sperber wich vor Ekel einen Schritt zurück. Sein Gefangener war in Stücke gerissen worden.
»Großer Gott!« krächzte Kalten. »Was ist passiert?«
»Wir wissen es beide, Kalten«, antwortete Sperber. »Wir haben so etwas nicht zum ersten Mal erlebt. Versuch nicht, die anderen Gefangenen zu befragen. Ich bin sicher, sie werden auf die gleiche Weise am Antworten gehindert!«
Sie waren zu fünft: Sperber, Ehlana, Kalten, Ulath und Stragen. In düsterer Stimmung saßen sie im königlichen Wohngemach.
»War es dieselbe Wolke?« fragte Stragen angespannt.
»Manches war anders«, erwiderte Sperber. »Aber das ist mehr ein Gefühl. Ich könnte nicht sagen, was anders war.«
»Aber welches Interesse könnten die Trollgötter haben, Krager zu beschützen?« wunderte sich Ehlana.
»Ich glaube nicht, daß es Krager ist, den sie beschützen«, entgegnete Sperber. »Es hat eher etwas mit den Vorgängen in Lamorkand zu tun.« Er schlug die Faust auf die Armlehne seines Sessels. »Ich wünschte, Sephrenia wäre hier!« platzte er plötzlich heftig heraus. »Wir tappen völlig im dunkeln.«
»Dann habt Ihr wohl nichts gegen
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