Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
drüben.«
Obwohl Faran sich mächtig ins Zeug legte, schlug das kleine Pony ihn um gut zwanzig Meter. Als Sperber den riesigen Fuchshengst zügelte, funkelte dieser seinen kurzbeinigen Bezwinger mißtrauisch an.
»Du hast geschummelt«, beschuldigte Sperber seine Tochter.
»Nur ein bißchen.« Sie rutschte vom Rücken ihres Ponys und setzte sich mit verschränkten Beinen unter den Baum; dann hob sie das Gesichtchen und sang mit trillernder, flötengleicher Stimme. Ihr Lied brach ab, und einen Augenblick lang saß sie mit unbewegtem Gesicht und vollkommen reglos da. Nicht einmal zu atmen schien sie. Sperber überkam das erschreckende Gefühl, völlig allein zu sein, obwohl Danae keine sechs Fuß von ihm entfernt saß.
»Was ist los, Sperber?« Danaes Lippen bewegten sich, doch es war Sephrenias Stimme, die diese Frage gestellt hatte. Als Danae die Augen aufschlug, hatten sie sich verändert: Die Augen des Mädchens waren sehr dunkel, Sephrenias dagegen tiefblau, fast lavendelfarben.
»Ihr fehlt uns sehr, kleine Mutter«, flüsterte Sperber. Er kniete sich nieder und küßte die Handflächen seiner Tochter.
»Habt Ihr mich um die halbe Welt geholt, um mir das zu sagen?«
»Natürlich nicht, Sephrenia. Wir haben diesen Schatten – diese Wolke – wieder gesehen.«
»Das ist unmöglich.«
»Das dachte ich auch, aber wir haben sie gesehen! Sie ist jedoch anders. Sie fühlt sich anders an. Und diesmal haben nicht nur Ehlana und ich sie gesehen, auch Stragen und Ulath.«
»Erzählt mir ganz genau, was geschehen ist, Sperber.«
Er beschrieb den Schatten, so gut er es vermochte, und berichtete dann kurz von dem Vorfall im Gebirge vor Cardos. »Was immer dieses Etwas ist«, schloß er, »es scheint mit allen Mitteln verhindern zu wollen, daß wir herausfinden, was sich in Lamorkand tut.«
»Gibt es dort Schwierigkeiten?«
»Graf Gerrich wiegelt zur Rebellion auf. Er bildet sich offenbar ein, daß ihm die Krone gut stehen würde. Er ist sogar so weit gegangen, zu behaupten, Fyrchtnfles sei zurückgekehrt. Ist das nicht lächerlich?«
Ihr Blick wirkte abwesend. »Gleicht dieser Schatten genau dem, den Ihr und Ehlana damals gesehen habt?« erkundigte sie sich.
»Er vermittelt irgendwie ein anderes Gefühl.«
»Und habt Ihr das Gefühl wie damals? Daß er mehr als nur eine Bewußtheit einschließt?«
»Daran hat sich nichts geändert. Es ist eine kleine Gruppe von Wesenheiten, und die Wolke, die den Grafen von Belton zerfetzte, war zweifellos dieselbe. Ist es den Trollgöttern irgendwie gelungen, aus der Bhelliomschatulle zu entkommen?«
»Ich muß mir das Ganze erst einmal durch den Kopf gehen lassen, Sperber.« Sephrenia überlegte eine Zeitlang. Auf seltsame Weise war Danaes Gesichtchen auch zu ihrem geworden. »Ich glaube, wir haben ein Problem«, sagte sie schließlich.
»Das habe ich selbst bemerkt, kleine Mutter.«
»Laßt Eure weisen Sprüche, Sperber! Erinnert Ihr Euch an die Männer aus der Urzeit, die in Pelosien aus jener Wolke kamen?«
Sperber schauderte. »Ich habe mich redlich bemüht, das zu vergessen.«
»Freundet Euch mit der Möglichkeit an, daß die verrückten Geschichten über Fyrchtnfles nicht völlig aus der Luft geholt sind. Die Trollgötter können in die Vergangenheit greifen und Menschen und andere Wesen in die Gegenwart holen. Fyrchtnfles könnte tatsächlich zurückgekehrt sein.«
Sperber stöhnte. »Dann ist den Trollgöttern also doch die Flucht gelungen?«
»Das will ich damit nicht sagen, Sperber. Vielleicht sind die Trollgötter einmal nicht die einzigen, die in die Vergangenheit greifen können. Aphrael vermag es vielleicht auch.« Sephrenia machte eine Pause. »Ihr hättet ihr diese Fragen stellen können, wißt Ihr?«
»Vielleicht. Aber hätte es etwas genutzt, ihr diese eine Frage zu stellen? Ich glaube nicht, daß sie die Antwort kennt. Irgendwie scheint sie Grenzen und Beschränkungen nicht zu begreifen.«
»Das ist Euch also aufgefallen«, sagte Sephrenia trocken.
»Seid nicht so spöttisch. Sie ist schließlich meine Tochter.«
»Doch zuvor war sie meine Schwester, also habe ich in dieser Sache ein älteres Recht. Welche Frage könnte Aphrael denn nicht beantworten?«
»Ob ein styrischer Magier – oder überhaupt ein Magier – dies alles bewirken könnte. Wäre es möglich, daß wir es mit einem Sterblichen zu tun haben?«
»Nein, Sperber, das glaube ich nicht. In vierzigtausend Jahren gab es lediglich zwei Magier, die imstande waren, in die Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher