Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
zu greifen, und sie waren nicht sehr erfolgreich. Womit wir es zu tun haben, geht weit über menschliches Vermögen hinaus.«
»Das wollte ich wissen. Dann haben wir es also mit Göttern zu tun?«
»Ich fürchte ja, Sperber. Das ist so gut wie sicher.«
4
Hochmeister Sperber, Wir hoffen, dieses Schreiben erreicht Euch und Eure Familie bei guter Gesundheit.
Es hat sich eine etwas delikate Situation ergeben, und Wir sind der Ansicht, daß Eure Anwesenheit hier in Chyrellos erforderlich ist. Durch kirchlichen Befehl fordern Wir Euch hiermit auf, Euch umgehend zur Basilika zu begeben und vor Unserem Thron zu erscheinen, um nähere Anweisungen entgegenzunehmen. Wir wissen, daß Ihr, als wahrer Sohn der Kirche, nicht zögern werdet, und erwarten Eure Ankunft noch in dieser Woche.
Dolmant, Erzprälat
Sperber senkte das Schreiben und ließ den Blick rundum wandern.
»Er kommt ohne Umschweife zur Sache, nicht wahr?« stellte Kalten fest. »Aber Dolmant hat ja nie um den heißen Brei herumgeredet.«
Königin Ehlana machte ihrer Entrüstung mit einem Wutschrei Luft, hämmerte die Fäuste auf den Ratstisch und stampfte heftig mit den Füßen.
»Du solltest schonender mit deinen Händen umgehen«, mahnte Sperber sie.
»Wie kann er es nur wagen?« stieß sie zornig hervor. »Wie kann er nur?«
»Ein wenig kurzfristig«, bemerkte Stragen vorsichtig.
»Du wirst diesem unverschämten Befehl nicht gehorchen, Sperber!« befahl Ehlana.
»Das geht nicht!«
»Du bist mein Gemahl und mein Untertan! Wenn Dolmant dich zu sehen wünscht, muß er mich darum ersuchen! Es ist empörend!«
»Der Erzprälat hat das Recht, die Hochmeister der Ritterorden zu sich zu rufen, Majestät«, erklärte Graf von Lenda ein wenig zaghaft der vor Wut schäumenden Königin.
»Du hast zu viele Ämter, Sperber«, meinte Tynian. »Du solltest von einigen dieser erhabenen Posten zurücktreten!«
»Es liegt an seiner umwerfenden Persönlichkeit«, sagte Kalten zu Ulath, »und seinen unglaublichen Fähigkeiten. Wenn er nicht da ist, siechen und sterben die Leute nur so dahin.«
»Ich verbiete es!« sagte die Königin entschieden.
»Ich muß Dolmant gehorchen, Ehlana«, erklärte Sperber. »Als Ordensritter unterstehe ich der Kirche.«
Ihre Pupillen verengten sich. »Also gut«, beschloß sie, »da Dolmant sich so herrisch aufführt, werden wir a lle seinem unverschämten Befehl folgen. Wir reisen nach Chyrellos! Ich werde mich in der Basilika einrichten und von dort meinen Amtsgeschäften nachgehen. Ich werde Dolmant klarmachen, daß ich angemessene Räumlichkeiten von ihm erwarte, sowie das erforderliche Verwaltungspersonal – auf seine Kosten. Wir werden das ein für allemal klären!«
»Das verspricht einer der Höhepunkt in der Geschichte der Kirche zu werden«, meinte Stragen.
»Ich werde dafür sorgen, daß dieser aufgeblasene Esel sich wünscht, er wäre nie geboren worden!« versprach Ehlana drohend.
Sperber vermochte nichts vorzubringen, das seine Gemahlin umstimmen konnte. Nicht, daß er sich übermäßig Mühe gab – er verstand ihre Einstellung durchaus.
Dolmant benahm sich tatsächlich ziemlich anmaßend. Er neigte dazu, die eosischen Monarchen mit einer gewisssen Rücksichtslosigkeit zu übergehen, deshalb war der Willenskampf zwischen dem Erzprälaten und der Königin von Elenien wahrscheinlich unvermeidbar. Bedauerlich war nur, daß die beiden einander ehrlich mochten und keiner den anderen aus kleinlicher Eitelkeit oder unsinnigem Stolz bekämpfte. Dolmant wollte die Autorität der Kirche durchsetzen, und Ehlana die des elenischen Throns. Sie standen einander nicht als Personen aus Fleisch und Blut, sondern als Institutionen gegenüber. Es war Sperbers Pech, daß er der Umstände wegen zwischen den Fronten stand.
Er war überzeugt, daß der arrogante Stil des Schreibens nicht von seinem alten Freund Dolmant stammte, sondern von einem geistig offenbar abwesenden Schreiber, der übliche Phrasen niedergekritzelt hatte. Wahrscheinlich hatte Dolmant lediglich gesagt: »Sendet Sperber einen Brief und teilt ihm mit, daß ich ihn gern sehen möchte.« Das aber war nicht die Formulierung des Schreibens, das in Cimmura angekommen war, sonst wäre Ehlana nicht derart in Wut geraten, daß der bevorstehende Besuch in Chyrellos eine böse Überraschung für den Erzprälaten werden sollte.
Die totale Räumung des Schlosses war Ehlanas erster Schritt. Jeder in diesen Mauern mußte sich ihrem Gefolge anschließen. Die Königin benötigte
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