Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
zugeben, daß die Einverleibung Astels ins tamulische Imperium das Beste war, was uns je passiert ist. Ob wir die Tamuler mögen oder nicht, ist unwichtig. Ihr fanatischer Hang zu Ordnung und Stabilität hat allein zu meinen Lebzeiten viele Male Kriege verhindert. In vergangener Zeit hat es andere Imperien gegeben, und die Zeit ihres Aufstiegs war von unbeschreiblichem Grauen und Leid gezeichnet. Ich finde, wir müssen ehrlich zugeben, daß die Tamuler die besten Imperialisten aller Zeiten sind. Sie mischen sich nicht in einheimische Sitten oder Religionen ein. Sie stören die gesellschaftliche Struktur nicht, und sie regieren durch die etablierten Regierungen. Ihre Steuern, so sehr wir auch darüber jammern, sind in Wirklichkeit gering. Sie bauen gute Straßen und fördern den Handel. Abgesehen davon lassen sie uns für gewöhnlich in Ruhe. Daß wir uns untereinander nicht bekriegen, ist das einzige, worauf sie streng bestehen. Damit kann ich leben – auch wenn meine Vorgänger sich arg unterdrückt fühlten, weil die Tamuler nicht zuließen, daß sie ihre Nachbarn mit dem Schwert bekehrten.«
Jetzt atmete Sperber ein wenig leichter.
»Aber ich weiche vom Thema ab«, meinte Monsel. »Wenn mich nicht alles täuscht, habt ihr eine Art weltweite Verschwörung angedeutet.«
»Haben wir das, Sperber?« fragte Emban.
»Ich glaube ja, Eminenz.«
»Habt Ihr einen konkreten Anhaltspunkt, auf den Ihr diese Theorie stützen könnt, Ritter Sperber?« erkundigte sich Monsel.
»Eigentlich nur die Logik, Eminenz.«
»Ich bin bereit, auf die Logik zu hören, solange sie meinem Glauben nicht widerspricht.«
»Wenn sich an einem Ort eine Reihe von Geschehnissen ereignen«, sagte Sperber, »die nahezu identisch sind mit einer Reihe von Geschehnissen an einem anderen Ort, dürfen wir die Möglichkeit ein und desselben Ursprungs in Betracht ziehen. Würdet Ihr mir da zustimmen?«
»Möglicherweise.«
»Das ist alles, wovon wir momentan ausgehen können, Eminenz. Die gleiche Art von Ereignis zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten könnte ein Zufall sein, doch wenn es sich um fünf oder zehn solcher Vorfälle handelt, kann man einen Zufall wohl ausschließen. Die derzeitigen Unruhen hier in Astel, in die Ayachin und ein Aufwiegler verwickelt sind, der Säbel genannt wird, sind in ganz ähnlicher Form im Königreich Lamorkand in Eosien ausgebrochen. Botschafter Oscagne hat uns versichert, daß Gleiches auch in anderen daresischen Reichen geschieht. Überall läuft es nach dem gleichen Muster ab. Es fängt damit an, daß ein großer Sagenheld aus grauer Vorzeit plötzlich wiederauferstanden ist. Dann erscheint irgendein Hitzkopf, der die Leute aufwiegelt. Hier in Astel gibt es die wilden Geschichten über Ayachin. In Lamorkand ist es der sagenhafte Held Fyrchtnfles. In Astel ist ein Mann namens Säbel der Aufwiegler, in Lamorkand ein Graf Gerrich. Ich bin ziemlich sicher, daß wir Ähnliches auch in Edom, Dakonien, Arjuna und Cynesga vorfinden werden. Oscagne sagt, daß auch die dortigen Nationalhelden auferstanden sind.« Vorsichtshalber vermied es Sperber, Krager zu erwähnen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, wo Monsels Sympathien lagen.
»Das sind in der Tat starke Argumente, Sperber«, gab Monsel zu. »Aber könnte dieses Komplott nicht gegen die Tamuler gerichtet sein? Sie sind nicht überall beliebt, wißt Ihr.«
»Eminenz, ich fürchte, Ihr überseht Lamorkand«, warf Emban ein. »Dort gibt es keine Tamuler. Es ist nur eine Vermutung, aber ich würde sagen, daß das Komplott – wenn wir es so nennen wollen – dort gegen die Kirche in Eosien und hier gegen das Imperium gerichtet ist.«
»Organisierte Anarchie?«
»Ich glaube, das ist ein Widerspruch in sich, Eminenz«, sagte Sperber. »Ich fürchte, wir wissen noch nicht genug, um ernsthaft über die Ursachen zu spekulieren. Zur Zeit versuchen wir die Wirkungsweise zu verstehen. Wenn unsere Annahme zutrifft, daß hinter allem dieselbe Person steckt, dann muß ihr Plan so veränderbar sein, daß er auf jede Kultur entsprechend zugeschnitten werden kann. Was wir wirklich wissen möchten, ist die wahre Identität dieses Säbel.«
»Damit ihr ihn töten lassen könnt?« Monsels Stimme war anklagend.
»Nein, Eminenz, das wäre nicht zweckdienlich. Wenn wir ihn beseitigen, nimmt ein anderer seinen Platz ein – jemand, den wir nicht kennen. Ich möchte wissen, wer er ist und was er ist. Ich möchte wissen, was er denkt, was seine persönlichen Beweggründe
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