Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Ritter Sperber. Der Leibeigene, der dies meldete, kennt Elron seit seiner Kindheit. Seid Ihr ihm bereits begegnet?«
»Wir haben in Baron Kotyks Haus Schutz vor einem Unwetter gesucht«, erklärte Emban. »Elron könnte sehr wohl Säbel sein, Sperber. Zweifellos hat er die entsprechende Mentalität. Was macht Euch so sicher, daß er nicht Säbel ist?«
»Er kann uns nicht eingeholt haben«, erwiderte Sperber.
Monsel blickte ihn fragend an.
»Wir haben Säbel auf dem Weg hierher in einem Wald gesehen«, erklärte Emban dem Erzmandriten. »Es war, wie man sich so etwas vorstellt. Ein lächerliches Schauspiel. Ein Maskierter auf einem Rappen, der sich dramatisch gegen den Himmel abhob. Das Dümmlichste, was ich je sah.« Emban wandte sich Sperber zu. »Aber so schnell sind wir gar nicht vorangekommen, Sperber. Elron könnte uns durchaus unbemerkt überholt haben.«
Daß sie in Wirklichkeit, dank Aphraels Zeitveränderung, viel schneller gewesen waren, konnte Sperber dem Patriarchen natürlich nicht anvertrauen. »Es hat mich nur überrascht, das ist alles«, log er. »Stragen und ich haben uns in jener Nacht mit Elron unterhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Mann die Leibeigenen aufwiegelt. Er hatte nichts als Verachtung für sie übrig.«
»Vielleicht als Maskerade, um seine wahren Gefühle zu verschleiern?« meinte Monsel.
»Das kann ich mir nicht vorstellen, Eminenz. Er ist zu naiv, als daß er Säbel sein könnte.«
»Zieht keine voreiligen Schlüsse, Sperber«, mahnte Emban. »Wenn Magie am Werk ist, mag es keine große Rolle spielen, was für ein Mensch Säbel ist. Es gibt doch Möglichkeiten, ihn entsprechend zu lenken?«
»Sogar mehrere«, gab Sperber zu.
»Ich wundere mich, daß Ihr nicht selbst daran gedacht habt. Elrons persönliche Einstellung ist wahrscheinlich überhaupt nicht von Belang. Wenn er als Säbel spricht, ist es der Mann hinter ihm – unser wirklicher Gegner –, der redet.«
»Ja, ich hätte wirklich daran denken müssen.« Sperber war wütend auf sich selbst, weil er das Offensichtliche übersehen hatte – und die ebenso offensichtliche Erklärung, wieso Elron sie hatte überholen können. Zweifellos vermochte ein anderer Gott ebensogut wie Aphrael, Zeit und Entfernung zu verändern.
»Wie weit verbreitet ist diese Verachtung für die Leibeigenen, Eminenz?« fragte er Monsel.
»Bedauerlicherweise fast weltweit, Prinz Sperber.« Monsel seufzte. »Die Leibeigenen sind ungebildet und abergläubisch, aber sie sind keineswegs so dumm, wie die Edelleute gern glauben möchten. Die Berichte, die ich bisher erhielt, besagen, daß Säbel fast ebensoviel Zeit damit verbringt, die Leibeigenen anzuprangern, wie die Tamuler, wenn er zu den Edlen redet. Es ist ihm beinahe schon gelungen, die Edelleute davon zu überzeugen, daß die Leibeigenen mit den Tamulern unter einer Decke stecken und gemeinsam ein finsteres Komplott schmieden, dessen Ziel die Befreiung der Leibeigenen und die Neuverteilung des Landes ist. Die Edelleute reagieren entsprechend. Zuerst wurden sie dazu gebracht, die Tamuler zu hassen; dann wurde ihnen glauben gemacht, daß die Leibeigenen eine geheime Abmachung mit den Tamulern hätten und daß ihre Besitztümer und ihre Stellungen durch dieses Bündnis gefährdet seien. Und wegen der Ataner wagen die Edelleute es nicht, sich direkt mit den Tamulern anzulegen – mit der Folge, daß sie all ihren Haß an den Leibeigenen auslassen. Immer wieder ist es völlig grundlos zu brutalen Ausschreitungen gegen eine Bevölkerungsschicht gekommen, die nach dem Jüngsten Gericht fast geschlossen in den Himmel einziehen wird. Die Kirche tut, was sie kann, doch unserem Einfluß auf die Edlen sind gewisse Grenzen gesetzt.«
»Was Euch fehlt, sind Kirchenritter, Eminenz«, sagte Sperber düster. »Wir verstehen sehr viel von Gerechtigkeit. Nimmt man einem Edlen die Knute ab und zieht sie ihm ein paarmal übers eigene Fell, wird ihm schnell ein Licht aufgehen.«
»Ich wollte, das wäre hier in Astel möglich, Ritter Sperber«, entgegnete Monsel bedrückt. »Bedauerlicherweise …«
Da waren die vertraute Kälte und die irritierende Bewegung am Rand des Blickfelds. Monsel unterbrach sich abrupt, schaute sich hastig um und versuchte zu sehen, was nicht gesehen werden konnte. »Wa-as …?« begann er.
»Es ist eine Erscheinung, Eminenz«, erklärte Emban ihm gepreßt. »Verrenkt Euch nicht den Hals, es würde nichts nützen.« Er hob die Stimme ein wenig. »Wie schön, dich
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