Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
eines Volkes haben, das nicht existiert?«
»Darüber könnten wir die ganze Nacht diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu kommen«, warf Kalten ein. »Erhabene«, wandte er sich an Xanetia, die mit leicht gesenktem Kopf neben ihm saß, »würde es Euch etwas ausmachen, diesen Leuten zu zeigen, wer Ihr seid? Andernfalls werden sie sich tagelang streiten.«
»Wenn es Euer Wunsch ist, Herr Ritter«, antwortete sie.
»So förmlich, meine Liebe?« Sarabian lächelte. »Hier in Matherion bedienen wir uns nur bei Hochzeiten, Beerdigungen, Krönungen und anderen beklagenswerten Anlässen dieser Redeweise.«
»Wir lebten seit langer Zeit völlig abgeschieden, Kaiser Sarabi an«, sagte Xanetia, »völlig unberührt vom Wind der Neuerungen und den wechselhaften Gezeiten des Sprachgebrauchs. Ich versichere Euch – was Euch als gezwungene Förmlichkeit erscheint, kommt ungebeten über unsere Lippen und ist unsere übliche Redeweise bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Sprache uns zur Verständigung als erforderlich erscheint.«
Die hintere Tür des Salons schwang auf, und Prinzessin Danae, die Rollo hinter sich her zog, trat ein, dicht gefolgt von Alean.
Xanetia blickte erstaunt und voller Ehrfurcht auf das kleine Mädchen.
»Sie ist eingeschlafen«, erklärte die Prinzessin ihrer Mutter.
»Sie ist doch nicht etwa krank?« fragte Ehlana.
»Die edle Sephrenia war offenbar sehr müde, Majestät«, erwiderte Alean. »Sie hat ein Bad genommen und sich anschließend zu Bett begeben. Ich konnte sie nicht einmal dazu bewegen, einen leichten Imbiß zu sich zu nehmen.«
»Wahrscheinlich ist es das beste, sie erst einmal ausschlafen zu lassen«, meinte Ehlana. »Ich werde gleich nach ihr sehen.«
Kaiser Sarabian hatte die kurze Unterbrechung genutzt, um sich ein paar gestelzte Redewendungen auszudenken. »Wahrlich«, wandte er sich an Xanetia, »Eure Art zu sprechen, erfreut Unser Ohr. Doch schmerzt es Uns, daß Ihr Uns mit Eurer Anwesenheit nicht schon eher beehrt habt, denn Eure Lieblichkeit und elegante Sprache hätten Unseren Hof verschönt. Eure strahlenden Augen und Euer sanftes Wesen wären ein ununterbrochener Quell der Freude für uns gewesen.«
»Eure Worte sind süß wie Honig, Majestät.« Xanetia neigte höflich den Kopf, »und es entgeht mir nicht, daß Ihr ein meisterhafter Schmeichler seid.«
»Sagt das nicht!« protestierte er. »Wir versichern Euch, daß Unsere Worte aus dem Herzen kommen.« Offensichtlich genoß Sarabian das Spielchen.
Xanetia seufzte. »Ich fürchte, Eure Meinung über mich wird sich ändern, wenn Ihr seht, wie ich wirklich bin. Ich habe mein Äußeres verändert, um Eure Untertanen nicht zu erschrecken. Würden sie mich in meiner wahren Gestalt erblicken, würden sie vor Furcht schreiend fliehen, wie ich zu meinem großen Leidwesen zugeben muß.«
»Könnt Ihr wirklich solche Furcht erregen, liebliche Maid?« Sarabian lächelte. »Wir können Euren Worten keinen Glauben schenken. Vielmehr scheint es Uns, daß Unsere Untertanen vor Freude schreien würden, wenn Ihr über die Straßen Unseres vielgerühmten Matherion schreitet.«
»Das müßt Ihr selbst beurteilen, Majestät.«
»Äh – ehe es soweit ist, dürfte ich mich nach dem Gesundheitszustand Eurer Majestät erkundigen?« fragte Itagne vorsichtshalber.
»Ich befinde mich bei bester Gesundheit, Itagne.«
»Keine Kurzatmigkeit? Kein Druck oder Ziehen in Eurer Majestät Brust?«
»Ich habe bereits gesagt, daß ich gesund bin, Itagne!« schnaubte Sarabian.
»Ich kann es nur hoffen , Majestät! Darf ich Euch dann die erhabene Xanetia, Anarae der Delphae vorstellen?«
»Ich glaube, Euer Bruder hat recht, Itagne. Auch ich fürchte, daß Euer Verstand – großer Gott! « Sarabian starrte voller Entsetzen auf Xanetia. Wie Farbe aus einem billigen Stoff schwand die Farbe aus ihrer Haut und ihrem Haar, und ihr natürliches Glühen, das sie bislang unterdrückt hatte, kam wieder zum Vorschein. Sie erhob sich, und Kalten stand neben ihr auf.
»Jetzt ist der Stoff, aus dem Eure Alpträume sind, zu Fleisch geworden, Sarabian«, sagte Xanetia traurig. »Dies ist, wer und was ich bin. Euer Diener Itagne hat Euch gut und wahrheitsgetreu berichtet, was im sagenhaften Delphaeus vor sich gegangen ist. Ich würde Euch gern auf die eine Weise begrüßen, wie sie Euch als Kaiser gebührt, doch wie alle Delphae bin ich eine Ausgestoßene und gehöre deshalb nicht zu Euren Untertanen. Ich bin hier, um jene Dienste zu leisten, zu denen mein Volk
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