Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
einstweilen jedenfalls.«
»Anakha!« rief eine der glimmenden Gestalten im Nebel.
»Das ist ein guter Anfang«, murmelte Vanion. »Erkundigt Euch, was sie wollen.«
Sperber nickte und trat näher an die verwitterten Trümmer der eingestürzten Mauer. »Ihr kennt mich?« rief er auf tamulisch.
»Selbst die Steine kennen den Namen Anakha. Keiner, der je gelebt hat, gleicht Euch.« Die Sprache klang archaisch und irgendwie unpersönlich. »Wir wollen Euch kein Übel und kommen in Freundschaft.«
»Ich werde mir anhören, was Ihr zu sagen habt.« Sperber entging nicht, wie Sephrenia hinter ihm scharf Atem holte.
»Wir bieten Euch und Euren Gefährten Zuflucht an«, erklärte der Delphae im Nebel. »Ihr seid von Feinden umgeben und die Gefahr im Land der Cyrgai ist groß für Euch. Kommt nach Delphaeus, dort werden wir euch Rast und Sicherheit gewähren.«
»Euer Angebot ist großmütig, Nachbar«, antwortete Sperber, »und meine Gefährten und ich danken Euch.«
»Wir fühlen Euer Zögern.« Die Stimme aus dem Nebel klang eigenartig hohl und mit einer Art Widerhall, wie man ihn in einem langen, leeren Korridor hören mag – ein Laut, der in unendlicher Ferne verklingt. »Seid versichert, daß wir gegen Euch und Eure Gefährten nichts Böses im Schilde führen. Solltet Ihr euch entscheiden nach Delphaeus zu kommen, geloben wir euch unseren Schutz. Wenige auf dieser Welt sind bereit, uns offen und ohne Furcht in die Augen zu sehen.«
»Das habe ich gehört. Aber es wirft eine Frage auf. Warum Euer Angebot, Nachbar? Wir sind hier Fremde. Welches Interesse haben die Delphae an unserer Sache? Was erhofft ihr euch davon, uns eure Freundschaft anzubieten?«
Die glimmende Gestalt im Nebel zögerte. »Ihr benutzt Bhelliom, Anakha – ob zum Guten oder Bösen, wißt Ihr nicht. Euer Wille gehört nicht mehr Euch, denn Bhelliom beugt ihn zu seinem eigenen Zweck. Ihr seid nicht mehr von dieser Welt. Euer Vorhaben und Euer Geschick werden von Bhelliom bestimmt. In Wahrheit seid Ihr und Eure Gefährten uns gleichgültig, denn wir bieten unsere Freundschaft nicht Euch an, sondern Bhelliom – und Bhelliom wird den Preis für diese Freundschaft zahlen müssen.«
»Das war deutlich genug«, murmelte Kalten.
»Die Gefahr, in der ihr euch alle befindet, ist größer als ihr ahnt«, fuhr der glimmende Sprecher fort. »Bhelliom ist die begehrenswerteste Kostbarkeit des ganzen Universums, und Wesen, wie ihr sie euch nicht einmal vorzustellen vermögt, wollen ihn in ihren Besitz bringen. Doch er läßt sich nicht besitzen. Er wählt selbst. Und er hat Euch erwählt, Anakha. In Eure Hand hat er sich gegeben, und durch Eure Ohren müssen wir mit ihm sprechen und unsere Wünsche kundtun.« Der Sprecher machte eine Pause. »Denkt über unsere Worte nach und legt Euer Mißtrauen ab. Euer Erfolg (oder Scheitern) bei der Durchführung von Bhellioms Vorhaben kann von unseren Absichten abhängen – den guten oder den weniger guten. Und wir werden dafür bezahlt! Doch darüber wollen wir später sprechen.«
Der Nebel wallte und verdichtete sich und die glimmenden Gestalten verschwammen und verblaßten. Ein plötzlicher Wind fegte über die Wüste, so kalt wie der Winter und so trocken wie Staub. Der Nebel zerfaserte, wallte und wirbelte wirr. Dann war er verschwunden, und mit ihm die Leuchtenden.
»Hört nicht auf sie, Sperber!« sagte Sephrenia mit schriller Stimme. »Zieht nicht einmal in Betracht, was er sagte! Es ist Lug und Trug!«
»Wir sind keine Kinder, Sephrenia«, versicherte Vanion der Frau, die er liebte. »Wir sind nicht so leichtgläubig, Fremden ohne weiteres zu trauen – schon gar nicht Fremden wie den Delphae.«
»Du kennst sie nicht, Vanion! Ihre Worte sind wie der Honig, der ahnungslose Fliegen in die Falle lockt! Ihr hättet sie vernichten sollen, Sperber!«
»Sephrenia«, sagte Vanion in besorgtem Tonfall, »du hast die letzten vierzig Jahre deine Hand auf meinen Schwertarm gelegt und versucht, mich davor zu bewahren, anderen Schaden zuzufügen. Was hat dich so verändert? Was macht dich plötzlich so blutdürstig?«
Sie blickte ihn beinahe feindselig an. »Du würdest es nicht verstehen.«
»Das ist eine Ausrede, Liebste. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, daß es wahrscheinlich nicht stimmt. Die Delphae waren vielleicht nicht völlig offen, was ihr Angebot betraf, aber sie waren nicht feindselig, und sie haben uns auf keine Weise bedroht.«
»Äh – Hochmeister Vanion«, unterbrach Ulath. »Ich glaube
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