Tamuli 3 - Das Verborgene Land
Augen und teigig weißem Gesicht herein. »O Gott, mein General!« schrillte er.
»Was erlaubt Ihr Euch!« brüllte Sirada. »Dafür werde ich Euch auspeitschen lassen!« »Wir stehen unter Angriff, mein General!«
Sirada konnte nun die Schreckensschreie von draußen hören. Er sprang auf und trat durch die Tür.
Der Tag war noch nicht ganz angebrochen, und aus dem Gewirr der Bäume breitete sich geisterhafter Nebel aus, der die zerfallenen Mauern und Häuserruinen von Panem-Dea verhüllte. Feuer und flackerndes Fackellicht verdrängten stellenweise die Dunkelheit mit ihrem rötlichen Schein. Doch in den unkrautüberwucherten Straßen schienen auch andere Lichter: blasse, kalte, die weder brannten, noch flackerten. Leuchtende Geschöpfe, bleich wie wandernde Monde, schlichen durch die Straßen von Panem-Dea. Grauen griff nach dem Herzen des Generals. Das war unmöglich! Die Leuchtenden waren eine Mär! Es gab sie gar nicht!
Sirada schüttelte seine Furcht ab und zückte das Schwert. »Stehenbleiben!« brüllte er seine verängstigten Männer an. »Aufstellen! Lanzen nach vorn!« Er bahnte sich einen Weg durch die kopflos umherlaufende Menge und schlug mit der flachen Klinge um sich. »Aufstellen! Reihe bilden!«
Doch über die von Panik erfüllten Männer hatte er keine Befehlsgewalt mehr. Sie machten ihm lediglich schreiend Platz und stürmten zu beiden Seiten in wilder Flucht an ihm vorbei. Da schwang Sirada sein Schwert und hieb auf die eigenen Leute ein. Er versuchte so verzweifelt, wieder Ordnung herzustellen, daß er das Messer nicht spürte, das ihm ins Herz drang. Er verstand nicht einmal, weshalb die Knie unter ihm nachgaben, und aus welchem Grund er unter die trampelnden Füße seiner Soldaten fiel, die schreiend in den weglosen Dschungel flüchteten.
»Seid Ihr sicher, daß diese Karte stimmt, Tynian?« fragte Patriarch Bergsten und starrte auf die Miniaturwelt unter seinen Füßen.
»Es ist die genaueste Karte, die Ihr je zu Gesicht bekommen werdet, Eminenz«, versicherte Tynian ihm. »Bhlokw sprach den Zauber, und die Trollgötter steckten die Hände in den Boden und fühlten die Form des Kontinents. Das ist er – bis zum letzten Baum und Strauch. Es ist alles hier!«
»Nur Cyrga nicht, Tynian-Ritter«, berichtigte Engessa. Der atanische General war völlig genesen und sah so gesund und kraftstrotzend aus wie eh und je. Doch er machte einen besorgten Eindruck. Seine Königin hatte ihn nach ihrer Ankunft nur kurz und knapp begrüßt und mied seither offensichtlich seine Gesellschaft. Sephrenia saß auf einer Bank in Aphraels Alabastertempel, und das Regenbogenlicht dieses jenseits allen Begriffsvermögens befindlichen Himmels spielte über ihre Züge. »Wir hatten gehofft, Schlee könnte Cyrga spüren, als er den Kontinent nachbildete, Eminenz. Doch Cyrgons Täuschung scheint vollkommen zu sein. Nicht einmal ein trollischer Zauber vermag sie zu durchschauen.«
»Was ist die wahrscheinlichste Vermutung?« fragte Bergsten.
Aphrael schritt leichtfüßig über die Miniaturwelt, die Bhlokw für sie herbeibeschworen hatte. Sie trat über die winzige Stadt Cynestra hinweg, ging nach Süden zu einem gebirgigen Gebiet in der Mitte der Wüste und deutete mit einer unbestimmten Handbewegung über die Berge. »Sie war früher irgendwo hier in dieser Gegend.« »Früher?« fragte Bergsten scharf.
Die Kindgöttin zuckte die Schultern. »Manchmal versetzen wir bestimmte Dinge.« »Ganze Städte?« »Durchaus. Aber damit gesteht man schlechte Planung ein.«
Bergsten schauderte und machte sich daran, mit einem langen Stück Schnur Entfernungen auf dem Miniaturkontinent abzumessen. »Ich bin hier oben in Pela.« Er deutete auf einen Punkt in Mittelastel. »Von dort sind es fast hundertfünfzig Meilen bis in die Gegend, in der Cyrga liegen könnte, und ich muß unterwegs erst noch Cynestra einnehmen. Ihr anderen befindet euch viel näher – und das bedeutet, ihr müßt euch ein wenig zurückhalten, wenn wir in etwa alle gleichzeitig dort eintreffen wollen.«
Aphrael zuckte die Schultern. »Ich werde mich darum kümmern.« Bergsten blickte sie verwirrt an.
»Die Göttin Aphrael hat die Möglichkeit, Zeit und Entfernung zu beeinflussen, Eminenz«, erklärte Sperber. »Sie kann …«
»Ich will nichts davon hören, Sperber!« sagte Bergsten scharf und preßte die Hände auf die Ohren. »Ihr habt bereits meine Seele gefährdet, indem Ihr mich hierher brachtet. Bitte, macht es nicht noch schlimmer, indem ihr
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