Tamuli 3 - Das Verborgene Land
welche Kinder von Cyrgon wir töten sollen?«
»Das ist das Wesen der Jagd, Ghworg«, erklärte Tynian. »Die Kinder von Cyrgon sind nicht wie das Rotwild, das immer im gleichen Revier äst. Sie sind wie die Rentiere, die im Laufe der Jahreszeiten von Ort zu Ort ziehen, um genug Futter zu finden. Zuvor begaben sie sich zum Fressen an den Ort, den wir Tamulische Berge nennen, doch jetzt begeben sie sich zu dem Ort Zhubay, um zu fressen. Würden wir nun in den Tamulischen Bergen jagen, fänden wir kein Wild, das wir töten und essen könnten.«
»Es spricht gut«, lobte Ghnomb, der Gott des Essens. »Es ist nicht Anakhas Gedanke, der sich ändert, sondern der Pfad der Kreaturen, die wir jagen. Das Wesen der Jagd sagt uns, daß wir dorthin gehen müssen, wo sie äsen, wenn wir sie finden und töten und essen wollen.«
»Diese Jagd wird immer mehr nicht-einfach!« brummelte Ghworg.
»Das liegt daran, daß die Menschendinge mehr nicht-einfach sind als die Wilddinge«, erklärte ihm Khwaj, der Gott des Feuers. »Der Gedanke von Tynian-von-Deira ist gut. Wer jagt, wo es kein Wild gibt, bekommt nichts zu essen.«
Ghworg dachte darüber nach. »Wir müssen dem Weg der Jagd folgen!« entschied er. »Wir bringen unsere Kinder zu dem Ort Zhubay, um die Kinder von Cyrgon zu jagen. Wenn sie zum Äsen kommen, werden unsere Kinder sie töten und essen.« »Es würde uns freuen, wenn Ihr das tut«, bedankte sich Tynian höflich.
»Ich werde unsere Kinder in die Zeit bringen, die-sich-nicht-bewegt«, versprach Ghnomb. »Sie werden an dem Ort Zhubay sein, bevor die Kinder von Cyrgon dort ankommen.«
Schlee, der Gott des Eises, steckte einen gewaltigen Finger in den Schlamm. Die Erde erbebte leicht und verzerrte sich zu seinem Bild des Kontinents. »Zeig uns wo, Ulath-von-Thalesien«, forderte er ihn auf. »Wo ist der Ort Zhubay?«
Ulath stapfte ein Stück am Südwestrand der winzigen Berge von Atan entlang und starrte angespannt auf den Boden. Dann bückte er sich und berührte einen Punkt unweit dem nördlichen Ende der Wüste von Cynesga. »Er ist hier, Schlee.« Ghworg, der Gott des Tötens, stand auf.
»Wir werden unsere Kinder dorthin bringen«, erklärte er. »Laßt uns Anakha froh machen.«
»Wir werden beobachtet, Vanion«, sagte Sephrenia leise.
Er lenkte sein Pferd näher zu dem ihren. »Von Styrikern?« fragte er ebenso leise. »Sie haben nur einen dabei«, erwiderte sie. »Und er ist nicht sehr erfahren.« Sie lächelte leicht. »Um seine Aufmerksamkeit zu erregen, müßte ich ihm wahrscheinlich einen Schlag auf den Schädel versetzen.«
»Tu, was du für richtig hältst, Liebste.« Vanion blickte über die Schulter auf die Kolonne von Rittern hinter ihnen; dann schaute er nach vorn. Sie kamen die Berge herunter, und das Sarnatal vor ihnen wurde allmählich breiter. »Morgen müßten wir die Brücke erreichen«, meinte er. »Und nachdem wir den Fluß überquert haben, sind wir in Cynesga.«
»Ja, Liebes, ich habe die Karte gesehen.«
»Wie wär's, wenn du den Zauber wirkst?« schlug er vor. »Geben wir deinem unfähigen Styriker da draußen eine Chance, sich seinen Unterhalt zu verdienen.« Er blickte sie ernst an. »So langsam mache ich mir Sorgen, Sephrenia. Klæl ist immer noch irgendwo dort draußen, und wenn er glaubt, daß Sperber mit Bhelliom bei dieser Kolonne ist, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.«
»In einer Situation wie dieser ist man immer gefährdet, Vanion.« Sie lächelte ihn zärtlich an. »Du hast gesagt, du würdest mich nie aus den Augen lassen. Wenn du also darauf beharrst, dich an gefährliche Orte zu begeben, muß ich dich wohl oder übel begleiten. Aber jetzt entschuldige mich. Ich werde diesen Styriker aufwecken.« Sie begann, leise in Styrisch zu sprechen und zugleich mit den Fingern den Zauber zu weben.
Verwirrt schaute Vanion ihr zu. Er war stolz darauf, daß er die meisten Zauber kannte, doch diesen hatte er noch nie gesehen oder gehört. Er beobachtete Sephrenia noch angespannter.
»Starr mich nicht so an«, sagte sie und unterbrach den Zauber. »Den hier brauchst du nicht zu kennen.«
»Aber …«
»Schau ganz einfach da hinüber, Vanion. Ich schaffe das ohne jede Hilfe.« Sie hielt inne. »Tu mir den Gefallen, Liebster. Eine Frau braucht wenigstens ein paar Geheimnisse.«
Er lächelte und drehte sich um.
Etwa dreißig Fuß entfernt schien die Luft zu verschwimmen, und plötzlich sah Vanion Sperber auf seinem übelgelaunten Fuchs erscheinen. Diese Erscheinung war so
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