Tamuli 3 - Das Verborgene Land
Stunden, wie es ihnen schien. Dann hörten sie von tief unten ein schwaches Plätschern sowie ein unterdrücktes Lachen.
Talen kniete sich an den Rand des rechteckigen Schachtes. »Alles in Ordnung?«
flüsterte er.
»Mir geht es gut.«
»Was findest du so komisch?«
»Die Cyrgai. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie dumm sie sind!«
»Was haben sie denn jetzt schon wieder getan?«
»Das Wasser kommt von einem artesischen Brunnen ganz in der Nähe der Außenmauer. Die Cyrgai haben eine Art Zisterne rundherum gebaut. Sie führt unter der inneren Mauer hindurch, um Wasser zu einem sehr großen Becken unter dem Berg zu bringen, auf den sie ihre eigentliche Stadt gebaut haben.« »Was ist daran so verkehrt?«
»Wie schon Bevier, haben auch die Cyrgai offenbar erkannt, daß ihre Wasserzuführung eine Schwachstelle ist. Sorgfältig haben sie ein steinernes Gitterwerk am Eingang des Tunnels errichtet. Von der Zisterne aus kann niemand in den Tunnel gelangen.« »Ich verstehe immer noch nicht, was daran so lustig ist.«
»Dazu komme ich gleich. Dieser Schacht hinunter zum Tunnel wurde offensichtlich erst später angelegt – wahrscheinlich, damit sie zum Tunnel konnten, um ihn sauberzuhalten.«
»Das scheint mir auch nicht gerade eine schlechte Idee zu sein. Immerhin handelt es sich um Trinkwasser.«
»Ja. Aber als sie den Schacht aushoben, haben sie etwas vergessen. Das andere Ende des Tunnels – jenes innerhalb ihrer zweiten Mauer – steht völlig offen. Es befinden sich dort weder Eisen- noch Holzgitter, auch keine Ketten oder sonstigen Absperrungen.« »Das gibt's doch nicht!«
»Das wird einfacher, als ich zu hoffen gewagt hatte«, warf Kalten ein. Er beugte sich vor und spähte hinab in die Dunkelheit. »Ist die Strömung sehr stark?« rief er leise hinunter.
»Stark genug«, antwortete Aphrael. »Aber das ist recht hilfreich. Sie trägt einen schnell hindurch, so daß man den Atem nicht lange anhalten muß.«
»Den – was?« würgte Kalten hervor.
»Den Atem anhalten. Man muß unter Wasser schwimmen.«
»Ich ganz bestimmt nicht!«
»Du kannst doch schwimmen, oder etwa nicht?«
»Ich kann in voller Rüstung schwimmen, wenn es sein muß.«
»Wo liegt dann das Problem?«
»Ich kann nicht unter Wasser schwimmen! Ich bekomme panische Angst!«
»Das stimmt, Aphrael«, versicherte Sperber ihr. »Sobald Kaltens Kopf unter Wasser gerät, fängt er zu schreien an.«
»Da ertrinkt er ja!«
»Eben. Als wir noch Kinder waren, mußte ich mich auf seine Brust stellen, um das Wasser aus ihm herauszuquetschen. Und das nicht nur einmal!« »O je!« seufzte Aphrael. »Damit hatte ich nicht gerechnet.«
29
Der Mond ging auf und tönte den östlichen Horizont mit seinem fahlen Licht silberweiß. Fast sah es aus, als würde nicht die Nacht hereinbrechen, sondern ein bleiches, kaltes Morgengrauen. Die weiße Scheibe erschien und warf ihr gespenstisches Licht über die endlose, öde Salzebene.
»Großer Gott!« entfuhr es Berit, der sich bestürzt umschaute. Was im schwachen Sternenlicht wie runde weiße Steine ausgesehen hatte, entpuppte sich nun als gebleichte Totenköpfe. Sie ruhten zwischen Gebeinen und starrten in stummer Anklage zum Himmel.
»Sieht aus, als wären wir richtig«, bemerkte Khalad. »Die Nachricht, die Sperber für uns hinterließ, erwähnte eine Ebene der Gebeine.«
»Die ist ja schier unendlich!« krächzte Berit.
»Hoffentlich nicht. Wir müssen sie durchqueren.« Khalad hielt an und schaute angespannt nach Westen. »Dort ist er!« Er deutete auf einen schimmernden Punkt widergespiegelten Lichtes in der Mitte einer niedrigen, dunklen Bergkette, die sich ein Stück hinter der gespenstischen Ebene erhob. »Wovon redest du?«
»Unser Orientierungspunkt! Sperber nannte ihn ›Cyrgons Säulen‹: Irgend etwas dort drüben spiegelt das Mondlicht. Wir sollen auf diesen Punkt zureiten.«
»Wer ist das?« zischte Berit. Jemand schritt aus der mit Knochen übersäten Ebene auf sie zu.
Khalad lockerte sein Schwert in der Scheide. »Vielleicht eine weitere Nachricht von Krager«, murmelte er. »Von jetzt an sollten wir besonders vorsichtig sein. Ich glaube, wir nähern uns dem Zeitpunkt, da wir unsere Schuldigkeit getan haben und nicht mehr gebraucht werden.«
Die aus der Wüste kommende Gestalt schien müßig herbeizuschlendern. Als sie näher war, konnten die Freunde die Züge des Fremden erkennen. »Vorsicht, Khalad!« zischte Berit. »Er ist kein Mensch.«
Khalad hatte es bereits selbst gespürt.
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