Tamuli 3 - Das Verborgene Land
befinden, die durchaus in der Lage sind, festzustellen, ob die Königin sich in dieser Stadt aufhält, werde ich nach Natayos reisen und mich dort nach ihr umschauen.« »Kommt nicht in Frage!« rief Sarabian. »Ich verbiete es!«
»Ich bin nicht Eure Untertanin, Sarabian von Tamuli«, erinnerte sie ihn. »Und habt keine Angst. Ich werde nicht in Gefahr sein. Niemand wird wissen, daß ich dort bin. Ich aber kann die Gedanken und das Gedächtnis anderer lesen. So werde ich rasch erfahren, ob die Königin und ihre Magd sich in Natayos befinden oder nicht. Wir Delphae haben Anakha versprochen, ihm unsere besonderen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, als wir unseren Pakt mit ihm schlossen. Das will ich nun tun.« »Es ist zu gefährlich!« wandte Sarabian hartnäckig ein.
»Mir scheint, Ihr habt meine andere Gabe vergessen, Sarabian von Tamuli«, erwiderte Xanetia. »Edaemus' Fluch – und das bedeutet, daß meine Berührung noch immer den Tod bringen kann, wenn ich es möchte. Also sorgt Euch nicht um mich, Sarabian. Sollten die Umstände mich dazu zwingen, kann ich in Natayos Tod und Schrecken verbreiten. Obgleich es mich schmerzt, dies zu gestehen – ich kann Natayos aufs neue zur Öde machen, zu unkrautüberwucherten Ruinen, in denen nur noch Tote vorzufinden sind.«
10
Sarna in Westtamul lag unmittelbar südlich der atanischen Grenze in der tiefen Schlucht des Flusses gleichen Namens. Die Berge rundum ragten steil und zerklüftet in den Himmel, und das dunkle Grün, das sie überwucherte, rauschte fast pausenlos im Wind, der aus der Wildnis im Norden herabfegte.
Es war kalt, und die bleigrauen Wolken spien schneidende Graupel, als Vanions Armee aus Ordensrittern sich den langen, steilen Weg zur Schlucht hinabplagte. Vanion und Itagne, in ihre schweren Umhänge gehüllt, ritten an der Spitze. »Ich wäre viel lieber auf Aphraels Insel geblieben.« Fröstelnd zog Itagne den Umhang fester um sich. »Ich muß gestehen, diese Jahreszeit mochte ich nie besonders.« »Wir sind fast da, Exzellenz«, versicherte Vanion ihm.
»Sind Feldzüge im Winter üblich, Hochmeister Vanion?« fragte Itagne. »In Eosien, meine ich.«
»Wir bemühen uns, sie zu vermeiden«, erwiderte Vanion. »Zwar überfallen die Lamorker einander auch im Winter, aber wir anderen lassen da für gewöhnlich mehr Vernunft walten.«
»Es ist eine abscheuliche Zeit für Kriegszüge.«
Vanion lächelte schwach. »Da habt Ihr recht, mein Freund. Aber das ist nicht der Grund, weshalb wir sie dann vermeiden. Es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Im Winter kommt ein Krieg viel teurer, da man zu allem anderen auch noch Heu für die Pferde kaufen muß. Die immensen Ausgaben sind der Grund für die Friedlichkeit der elenischen Könige, wenn Schnee den Boden bedeckt.« Vanion stellte sich in den Steigbügeln auf, um besser nach vorn sehen zu können. »Betuana wartet!« stellte er fest. »Beeilen wir uns, zu ihr zu kommen.«
Itagne nickte, und sie trieben ihre Pferde zu einem holprigen Trott an.
Die Königin von Atan hatte sich bei Dasan am Ostrand des Gebirges von ihnen getrennt, entschlossen, die Vorhut zu bilden. Natürlich hatte Betuana mehrere gute Gründe dafür, doch Vanion vermutete insgeheim, daß ihre Entscheidung mehr von Ungeduld als von Notwendigkeit beeinflußt gewesen war. Betuana war zu höflich, darüber zu reden, doch es war offensichtlich, daß sie nichts von Pferden hielt und sich daher selten eine Gelegenheit entgehen ließ, zu beweisen, daß Ataner zu Fuß schneller waren. Sie und Engessa, beide in Otterpelzkleidung, warteten am Straßenrand, etwa eine Meile vor der Stadt.
»Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?« erkundigte sich die atanische Königin. »Nein, Majestät.« Vanions schwarzer Panzer klapperte, als er sich aus dem Sattel schwang. »Wir wurden beobachtet, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Hat sich in Cynesga etwas getan?«
»Sie ziehen zur Grenze hinauf, Vanion-Hochmeister«, antwortete Engessa. »Sehr vorsichtig gehen sie es nicht an. Wir haben zwar ihre Linien da und dort durchbrochen und stellen ihren Kundschaftern Hinterhalte, um sie zu verunsichern, aber es ist ziemlich klar, daß sie die Absicht haben, mit ihrer gesamten Streitmacht die Grenze zu überrennen.«
Vanion nickte. »Das ist mehr oder weniger, was wir erwartet haben. Wenn es Euch recht ist, Majestät, hätte ich gern, daß meine Männer versorgt sind, bevor wir alles besprechen. Ich kann besser denken, wenn alles geregelt ist, bis in die
Weitere Kostenlose Bücher