Tango der Leidenschaft
verräterischen Spuren zu überschminken. Sie wusste genau, wenn Rafael nicht aufgehört hätte, sie zu küssen, würden sie sich jetzt wahrscheinlich im Bett wälzen und sich lieben. Und dass sie das wusste, war das Schlimme daran.
Rafael stand am Fenster seines Arbeitszimmers und sah auf den weiten Rasen hinaus, wo die Hochzeitsgäste bereits zum geschmückten Festzelt strömten. Leise Musik wehte zu ihm herüber. Kellner begrüßten die Gäste mit Champagner. Die Hochzeit hatte am späten Nachmittag stattgefunden. Jetzt ging die Sonne langsam unter und färbte den Himmel rot.
Bei Einbruch der Nacht würden in den Bäumen und überall auf dem Rasen kleine Lampions aufleuchten.
Genau so hatte Rafael sich seine Hochzeit gewünscht. Alles war perfekt. Tief in seinem Innern wusste er, dass Isobel die Richtige für ihn war. Es hatte ihn eine ziemliche Beherrschung gekostet, sie nicht schon in ihrem Schlafzimmer zu nehmen.
Nach keiner Frau war er je so verrückt gewesen wie nach ihr. Mit zu Fäusten geballten Händen und verrutschtem Schleier hatte sie vor ihm gestanden und wie eine Wildkatze gefaucht. Als er sie dann aber küsste, war sie in seinen Armen dahingeschmolzen.
Nein, so küsste ganz sicher keine Jungfrau.
Sie war ein raffiniertes kleines Biest und wusste genau, was sie tat. Mit ihrer scheuen Art und ihrem jungfräulichen Erröten versuchte sie doch nur, ihn bis aufs Äußerste zu reizen. Nur, um sich ihm dann zu verweigern, wenn sie ihn so weit hatte. Doch er durchschaute sie. Schließlich hatte er seine Erfahrungen bei einer der raffiniertesten Frauen sammeln dürfen, die er kannte. Seiner Exverlobten.
Führte Isobel vielleicht etwas im Schilde? Wollte sie ihn in die Arme einer anderen treiben, um dann die Scheidung verlangen zu können?
Er presste entschlossen die Lippen aufeinander. Sie brauchte sich keine Hoffnungen zu machen. Er würde über ihre List triumphieren.
Es klopfte an der Tür. Als er sich umdrehte, stand Isobel auf der Schwelle. „Juanita sagte mir, wo ich dich finden kann. Der Fotograf wartet draußen. Er meint, es würde langsam dunkel …“
„Dann nutze ich wohl besser deine friedliche Stimmung und komme mit“, meinte er gelassen und nahm ihren Arm.
5. KAPITEL
Ein paar Stunden später hielt Isobel sich nur noch durch reine Willenskraft aufrecht. Ihr Gesicht schmerzte vom ununterbrochenen Lächeln und ihre Hand vom vielen Händeschütteln.
Nach den üblichen Hochzeitsfotos hatte er ihre Eltern und sie in sein Arbeitszimmer geführt, wo bereits die Anwälte warteten. Er übergab den Eltern einen Scheck über eine fast astronomische Summe, und sie unterzeichneten ein Schriftstück, das besagte, dass jetzt alle Bedingungen erfüllt waren.
Das schamlos gierige Verhalten ihrer Eltern hatte Isobel angeekelt. Sie waren wirklich nur am Geld interessiert! Dass sie dadurch ihre Tochter zwangen, eine lieblose Ehe einzugehen, schien ihnen egal zu sein. Isobel fühlte sich unglaublich einsam.
Danach führte eine der Frauen, die ihr schon beim Anziehen des Hochzeitskleides geholfen hatte, sie nach oben. Dort nahm sie ihr den Schleier ab und zeigte ihr, wie sie die Schleppe mit einer kleinen Schlinge an ihrem Handgelenk befestigen konnte, sodass sie beim Tanzen nicht störte.
Es überraschte Isobel, dass Rafael als ersten Tanz „La Chacarera“ bei der Band bestellte. Es war ein traditioneller argentinischer Volkstanz, und sie fand ihn sehr romantisch. Die Partner umkreisten einander mit erhobenen Armen und traten dabei vor und zurück, ohne sich aus den Augen zu lassen. Unwillkürlich kam Isobel dieser Tanz wie ein Spiegelbild ihrer Gefühle für Rafael vor. Sie fühlte sich von ihm angezogen und wollte ihm doch nicht nahe sein. Er hatte sein Jackett ausgezogen und den oberen Knopf des Hemdes geöffnet. Wenn Isobel ehrlich war, musste sie zugeben, dass er einfach umwerfend gut aussah.
Während des ganzen Abends warfen viele der Frauen Isobel eifersüchtige Blicke zu. Wie gerne hätte sie sie über ihre Ehe aufgeklärt. Sollten sie sich Rafael doch ruhig nehmen! Sie konnten ihn gerne haben!
Gerade drängte er sich durch die Menge und kam auf sie zu. Er war in Begleitung eines hochgewachsenen Mannes, und Isobel stellte verblüfft fest, wie sehr sich die beiden ähnelten.
„Isobel, darf ich dir meinen älteren Bruder Rico Christofides vorstellen?“
Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, dass der legendäre griechische Industrielle Rafaels Halbbruder war. Die beiden hatten vieles
Weitere Kostenlose Bücher