Tango der Leidenschaft
deutete auf den Range Rover. „Wir brechen besser auf. Die Fahrt dauert vier Stunden, und ich möchte da sein, bevor es dunkel ist.“
Während Rafael geschickt den Wagen durch den dichten Verkehr von Buenos Aires lenkte, fragte er sie plötzlich: „Wo hast du eigentlich Tango tanzen gelernt?“
Isobel warf ihm einen prüfenden Blick zu, aber er schaute weiterhin geradeaus. Sie zupfte am Stoff ihrer Hose und schwieg eine Weile. „Meine Großeltern liebten Tango“, meinte sie nach einiger Zeit. „Und meine Großmutter brachte ihn mir bei, als ich noch ganz klein war. Nach ihrem Tod tanzte mein Großvater immer mit mir …“ Wieder warf sie ihm einen Blick zu. Dann siegte die Neugier. „In Paris sagtest du, deine Großmutter hätte dich und deinen Bruder immer zu den milongas mitgenommen?“
Rafael sah sie kurz an und lächelte. „Sie war verrückt danach, obwohl man in ihrer Jugend den Tango nicht gerade für gesellschaftsfähig hielt. Sie schlich sich zu den milongas und brachte ihre Freundinnen dazu, meinen Bruder und mich zu unterrichten.“
„Bei meinen Großeltern war es das Gleiche. Sie tanzten ihn trotzdem – meistens, wenn sie allein waren. Deswegen kennst du also den alten Milonguero-Stil, wie mein Großvater ihn tanzte?“
Er nickte.
Isobel lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster. Sie spürte, dass ihre Wachsamkeit nachließ. Aber etwas in ihr wollte immer noch nicht glauben, dass es so einfach war, sich richtig gut mit Rafael zu unterhalten. „Ich schaute ihnen immer beim Tanzen zu. Ich glaube, es war das Schönste, was ich je gesehen habe …“ Sie lächelte vor sich hin. „Ich weiß noch, dass es mir immer vorkam, als würde ich Zeuge von etwas sehr Intimem.“
„Und dann träumtest du von weißen Gartenzäunen, rosenumrankten Haustüren und der wahren Liebe“, meinte Rafael trocken und lachte. „Im Herzen bist du wirklich eine Romantikerin, Isobel.“
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und verschränkte die Arme. Dann schloss sie die Augen und tat, als würde sie schlafen. Das war immer noch besser, als dieses unerträglich selbstzufriedene Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen.
Sie wachte auf, weil jemand sie sanft rüttelte. „Isobel … Wach auf! Wir sind da.“
Verschlafen setzte sie sich auf und fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar. Sie wurde verlegen, als sie feststellte, dass sie sich im Schlaf an ihn gekuschelt hatte. „Hab ich während der ganzen Fahrt geschlafen?“
Rafael sah sie unverwandt an. „Ganz schön tief. Kaum hatten wir den Stadtrand von Buenos Aires hinter uns, warst du auch schon weg.“
„Tut mir leid“, erwiderte Isobel förmlich und wurde langsam wach. „Du musst doch auch müde sein.“
Rafael zog ungläubig die Brauen hoch. „Höre ich da vielleicht so etwas wie Besorgnis heraus?“
Isobel war froh, dass jetzt einige Leute auf sie zukamen. So musste sie ihm keine Antwort geben. Ein freundlich blickender alter Mann öffnete ihr die Wagentür. Sie stieg aus und erwiderte sein Lächeln.
Erst jetzt merkte sie, wo sie waren. Während Rafael den Bediensteten auftrug, die Koffer ins Haus zu schaffen, stand sie wie versteinert da und betrachtete die wunderschöne Umgebung. Es war, als erlebte sie ein Déjà-vu.
Rafael trat neben sie. „Wir sind am Fuß der Sierras Chicas. Erinnerst du dich an sie?“
Isobel schüttelte den Kopf. „Kaum. Als ich klein war, war ich ein paar Mal hier. Meiner Mutter war es immer zu weit weg von der Stadt. Und dann starb meine Großmutter als ich sechs war, und wir kamen nie mehr hierher.“ Sie sah Rafael an. „Damals muss mein Großvater den Besitz verkauft haben.“
Er nickte. „Ein paar Jahre danach.“
Und genauso lange ist mein Schicksal schon besiegelt gewesen, dachte Isobel. Sie wandte sich um, und ihr stockte der Atem. Die schlichte Eleganz und Schönheit der estancia war atemberaubend. Cremefarbene Mauern und ein Dach aus Terrakottaziegeln ließen das einstöckige Gebäude warm und einladend wirken. Säulen verliehen ihm ein herrschaftliches Flair.
„Die estancia wurde um 1830 errichtet. Allerdings baute man über die Jahre hinweg an …“
„Sie ist so schön“, flüsterte Isobel. „Ich hab vergessen, wie traumhaft alles ist.“
Das Haus war umgeben von üppigen Weiden. Im Hintergrund schien es auch noch einen von Bäumen umsäumten See zu geben. Kein Wunder, dass ihr Großvater wollte, dass der wundervolle Besitz später einmal wieder ihrer Familie gehörte. Der Verlust dieses
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