Tante Dimity und der Kreis des Teufels
aus, um in einer schmutzigen Bibliothek herumzustöbern. Sie trug einen hellbraunen Rock aus feinstem Wollstoff, dazu ein aprikosenfarbenes Twinset, und ihr Haar war zu einem losen Chignon geschlungen, aus dem einzelne Locken fielen, die ihr Gesicht umrahmten. Sie sah so hübsch aus, dass ich bedauerte, nicht mehr Sorgfalt auf mein eigenes Aussehen verwandt zu haben. Mein Sweatshirt und die Jeans, die ich zur Arbeit trug, waren praktisch, aber alles andere als elegant, und meine Turnschuhe konnten den edlen Lederschuhen, die Nicole trug, nicht das Wasser reichen.
»Komm mit«, sagte sie und führte mich zu einem Lehnstuhl, der vor einem massiven Eichentisch an der Wand gegenüber der Fensterfront thronte. Auf dem Tisch standen zwei Leselampen mit grünem Schirm, dazwischen lagen ein großes Buch sowie ein Vergrößerungsglas mit Horngriff.
»Heute«, sagte sie, »kannst du den Katalog begutachten.«
»Stan hatte keinen Katalog erwähnt«, sagte ich.
»Mein Urgroßvater hat ihn anlegen lassen«, erklärte Nicole. »Ich fürchte, er ist von Hand geschrieben, aber ich kann mir vorstellen, dass du ihn sehr nützlich finden wirst.«
Ich fand den Gedanken, handgeschriebene Details über Bücher zu entziffern, die mich nicht im Geringsten interessierten, alles andere als reizvoll. Mein Blick fiel auf Shuttleworth’ Vögel , das Adam auf den Beistelltisch gelegt hatte, und ich fragte Nicole nach den Büchern aus dem Ostturm.
»Hatch wird gleich damit …« Sie lauschte in Richtung des Arbeitszimmers. »Ach, hier ist er schon.«
Ich drehte mich um und beobachtete, wie das Faktotum auf einem niedrigen Rollwagen eine Packkiste von der Größe eines Sarges in den Raum schob. Der Deckel der Kiste war bereits entfernt worden, und als Nicole Hatch bedeutete, er möge die Kiste neben meinen Stuhl schieben, sah ich sofort, dass sie mit Büchern voll gepackt war.
»Das ist alles«, sagte Hatch. »Mehr Bücher sind nicht dort oben.«
Ich dankte ihm herzlich und bat ihn, meinen Dank auch an die beiden stämmigen Dorfbewohner weiterzugeben.
»Es war gar nicht so schwer«, sagte Nicole, als Hatch gegangen war. »Onkel Dickies Handwerker haben einen Flaschenzug dort oben angebracht, damit Reparaturen in Zukunft leichter auszuführen sind. Die Männer aus dem Dorf haben Hatch geholfen, die Kiste auf den Rollwagen herunterzulassen, und alles Übrige schaffte er allein.«
Befriedigt betrachtete sie meinen Arbeitsplatz, dann entschuldigte sie sich, da sie Mrs Hatch in der Küche helfen müsse.
Diese Äußerung verblüffte mich. Für die Kü che war sie nicht angezogen, und nach allem, was sie mir erzählt hatte, würde Mrs Hatch ihre Hilfe auch bestimmt nicht schätzen. Doch dann erinnerte ich mich, dass sie Captain Manning zum Mittagessen eingeladen hatte, und mir ging ein Licht auf.
Ich konnte es Nicole nicht verdenken, dass sie sich auf Guys Besuch freute. Welche Frau vermochte einem Mann in Uniform zu widerstehen, noch dazu, wenn dieser Mann groß, blond und gut aussehend war? Jared verkörperte nicht gerade den Traummann, und er schien seine junge Frau als selbstverständliches Inventar zu betrachten. Wenn Nicoles Gedanken sich gelegentlich zu dem blonden jungen Captain verirrten, brauchte Jared sich nicht zu wundern.
Die Verirrung meiner eigenen Gedanken war eine ganz andere Sache. Sie war lediglich, so sagte ich mir, durch eine Kombination aus Erschöpfung und tiefer Dankbarkeit verursacht worden. Adam war nicht nur ein gut aussehender Mann. Er hatte mir das Leben gerettet, mir mein Gepäck aus dem Auto geholt und – was am wichtigsten war – mir Reginald wieder gebracht. Wenn jemand das Recht hatte, sich in meine Träume zu mogeln, selbst wenn es auch gelegentlich Tagträume waren, dann war es Adam.
Nachdem ich diese Überlegungen zu meiner Zufriedenheit abgeschlossen hatte, schob ich den handgeschriebenen Katalog beiseite und wandte mich der Kiste zu. Die Bücher, die sie enthielt, waren keine Kinderbücher, wie ich es erwartet hatte, aber dennoch interessant: eine Sammlung der Romane von Walter Scott, in rotes Leder gebunden, die Werke von Tennyson, Browning und anderen viktorianischen Dichtern, eine vollständige Ausgabe der Werke Jane Austens mit dunkelgrünem Lederrücken und vieles andere.
Instinktiv wusste ich, dass diese Bücher einmal Claire gehört hatten. Ich brauchte keine Exlibris oder Prägestempel, um mich zu vergewissern, dass sie hier in Wyrdhurst Hall Claires Gefährten gewesen waren, bis der
Weitere Kostenlose Bücher