Tante Dimity und der Kreis des Teufels
wegzulenken.
»Seit meine Eltern tot sind, habe ich nie woanders gewohnt«, erwiderte sie.
»Ich war ein kränkliches Kind, also kam ein Internat für mich nicht in Frage. Natürlich hatte ich Privatlehrer – und praktisch keinen Kontakt mit anderen Kindern. Als ich dann zur Universität sollte, fehlte mir einfach der Mut dazu. Also blieb ich zu Hause bei Onkel Dickie.«
Während sie mir ihre Geschichte erzählte, wurde mir klar, was Jared an ihr so anziehend gefunden hatte. Es gab heutzutage nicht viele Frauen, die sich ein so behütetes Leben leisten konnten, und noch viel weniger, die so ein Leben gewählt hätten. Ein Mann, der so für das viktorianische Zeitalter schwärmte wie er, musste Nicoles Zartheit und Weltfremdheit unwiderstehlich finden.
»Wie hast du deinen Mann kennengelernt?«, fragte ich.
Nicole deutete auf meinen Nachttisch. »Dafür hat Major Ted gesorgt. Onkel Dickie bat mich, ihn bei einem Antiquitätenhändler in Newcastle schätzen zu lassen. Jared war auch dort, mit einem Schaukelpferd aus der Zeit Edwards VII. Ich bewunderte sein Pferd, er bewunderte meinen Teddy, und zwei Wochen später waren wir verlobt.«
»Eine stürmische Liebesgeschichte«, bemerkte ich.
»Ja«, sagte sie. »Ist es nicht romantisch?«
Ich hätte es eher »überstürzt« genannt, aber da meine eigene Brautzeit ebenfalls ziemlich unkonventionell verlaufen war, konnte ich mir kein Urteil erlauben.
»Die Verlobung muss für deinen Onkel etwas plötzlich gekommen sein«, sagte ich.
»Er war auch nicht sehr glücklich darüber«, räumte Nicole ein. »Er war, was mich betraf, immer überängstlich. Aber ich war gerade mündig geworden, also konnte er es mir nicht verbieten, und schließlich ist er dann sogar sehr groß zügig gewesen. Wyrdhurst bedeutet meinem Mann genauso viel wie Major Ted mir bedeutet.«
Sie sah sehnsüchtig zu dem Bären hinüber, aber ich tat so, als bemerkte ich es nicht. Ich wollte diesen neuen Gefährten nicht verlieren, ehe ich ihn Adam gezeigt hatte.
Es klopfte, und Nicole rief Mrs Hatch herein.
Die Haushälterin trug ein kostbares Stehtablett mit Einlegearbeit, darauf standen ein Krug, dazu passende Tassen mit Rosenmuster und ein Kuchenständer, beladen mit einem zarten, hellbraunen Gebäck. Sie reichte das Tablett Nicole, legte im Kamin Kohlen nach und nahm das Tablett mit meinem leeren Suppenteller vom Frisiertisch, ehe sie wieder verschwand.
»Plätzchen und heiße Milch mit Honig«, sagte Nicole. »Onkel Dickie schwört darauf, wenn er Kopfschmerzen hat.« Sie stellte das Stehtablett vor mich hin. Während sie die Tassen mit heißer Milch füllte, nahm ich eines der Plätzchen. Sie sahen hübsch aus, zart wie Schneeflocken und ebenso glänzend, als sei jedes einzeln poliert worden.
»Sie sehen aus wie aus Spitze«, sagte ich bewundernd, indem ich das zarte Gebäck gegen das Licht hielt.
Nicole strahlte. »So haben sie auch ihren Namen bekommen. Das Rezept ist schon in der Familie, so lange wir denken können. Wir nennen sie Claires Spitzen .«
» Claires Spitzen? « Das zarte Gebäck zerbrach in meiner Hand.
»Wie merkwürdig. Ich habe heute Nachmittag ein Buch in der Bibliothek gefunden mit einer Widmung für ein Mädchen namens Claire. Ich wollte dich schon nach ihr fragen.«
»Das muss Großtante Claire gehört haben«, sagte Nicole. »Sie war Josiahs einzige Tochter, das Kind seiner späten Jahre. Seine Söhne waren schon erwachsen, als sie geboren wurde.«
»Gibt es noch mehr? Ich meine nicht Plätzchen, sondern Bücher von Claire«, erklärte ich.
»Schon möglich. Ich glaube, ich habe einmal ein paar Bücher im Ostturm gesehen.«
»Das sind ihre«, sagte ich.
Nicole zog die Augenbrauen hoch. »Dafür, dass du sie noch nicht gesehen hast, scheinst du dir sehr sicher zu sein.«
Ich war mir sicher, obwohl ich nicht wusste, warum. »Instinkt einer Bibliothekarin«, sagte ich. »Josiahs Bücher sind in der Bibliothek, also müssen Claires Bücher woanders sein. Kann ich sie mir ansehen?«
»Ich werde Hatch bitten, die Bücher morgen herunterzubringen. Wenn Dr. MacEwan dir erlaubt, zu arbeiten«, fügte sie streng hinzu.
Das Gebäck war lecker – knusprig und mürbe und wunderbar süß. Ich spülte den ersten Bissen mit warmer Milch hinunter, dann bat ich Nicole, mir mehr über ihre Großtante zu erzählen.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Sie nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. »Meine Großtante ist jung gestorben, während der Grippe-Epidemie, bei der
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