Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
war gekommen, um die Fackel an die nächste Generation weiterzureichen. Er wusste nicht, wie lange er noch zu leben hatte.
16
EIN PLÖTZLICHER WOLKENBRUCH trieb mich ins Haus. Ich betrat es durch eine Hintertür und wollte gerade in mein Zimmer gehen, als ich aus dem Salon leise Musik hörte. Jemand spielte auf dem Flügel.
Neugierig ging ich in die Eingangshalle, wo ich meine nasse Jacke über die schmiedeeiserne Balustrade der Treppe hängte, und öffnete die Tür zum Salon. Das rothaarige Dienstmädchen sprang vom Pianohocker auf und errötete tief.
Ich tat mein Bestes, um möglichst wenig einschüchternd zu wirken, aber offenbar hatte ich ein Talent dafür, die Bediensteten des Lords in peinliche Situationen zu bringen.
»Es tut mir leid, Madam, es wird nicht wieder vorkommen, Madam, bitte erzählen Sie es nicht Mr Giddings«, stotterte sie.
»Ich werde Giddings kein Sterbenswörtchen verraten«, beruhigte ich sie. »Und Sie brauchen sich auch nicht zu entschuldigen. Sie spielen sehr gut.«
Das Dienstmädchen nestelte an seiner Schürze.
»Ich soll es ja nur abstauben, Madam, aber es ist so ein schönes Instrument, und wann habe ich schon mal die Möglichkeit …«
»Ich verstehe Sie«, sagte ich. »Ihr Geheimnis ist sicher bei mir aufgehoben.«
»Danke, Madam.« Sie machte einen Knicks, ergriff ihren Korb mit den Reinigungsmitteln und eilte aus dem Raum.
Ich ging zum Flügel, schloss den Deckel und wollte gerade wieder in die Halle zurückkehren, als ich durch das Fenster eine Gestalt sah, die die Auffahrt hinaufging. Ich öffnete die Flügeltüren und trat hinaus. Ein großer junger Mann in einem imprägnierten Parka, Bluejeans und schmutzigen Wanderschuhen kam mit raschen Schritten auf das Haus zu. Dass der Regen auf sein Gesicht und auf seinen Rucksack prasselte, schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Ich sah genauer hin, und langsam breitete sich ein freudiges Grinsen auf meinem Gesicht aus. Ich schlug die Flügeltüren zu, eilte in die Halle, nahm meine Jacke von der Balustrade und zog sie an, während ich hinauslief, um den Neuankömmling zu begrüßen.
»Peter!«, rief ich.
»Lori!«, rief er und wir liefen aufeinander zu.
Kurz bevor wir kollidierten, packte er mich und hob mich in die Luft.
»Was machst du hier?«, fragte ich atemlos, als er mich schließlich wieder runterließ und wir gemeinsam auf das Haus zugingen. »Emma sagte, dass du vor Neuseeland Wale beobachtest.«
»Das habe ich auch getan.« Peter verlangsamte seine Schritte, damit ich nicht joggen musste, um mit ihm mitzuhalten. »Emma hat mich per Satellitenfunk kontaktiert: Ob ich nicht schnellstens nach Hailesham kommen könnte? Der Kontakt wurde unterbrochen, bevor sie mir den Grund nennen konnte, aber ich habe mich trotzdem auf den Weg gemacht. Den Flug nach England hat mir ein Kumpel von der Royal Air Force besorgt, vom Stützpunkt bis zu den Toren bin ich von einem Auto mitgenommen worden. Den Rest bin ich zu Fuß gegangen.« Er holte tief Luft. »Ist das nicht ein herrlicher Tag?«
Ich musste lachen. Obwohl er erst zwanzig war, hatte Peter absolut nichts mehr von dem schüchternen und ängstlichen Jungen an sich, der er einmal gewesen war. Sein Verantwortungsgefühl hatte er sich allerdings bewahrt. Ich bezweifelte, dass allzu viele Zwanzigjährige alles stehen und liegen lassen und einen Flug um die halbe Welt auf sich nehmen würden, nur um einem Wunsch ihrer Stiefmutter zu entsprechen.
»Das muss die gute Nachricht gewesen sein, die Emma angedeutet hat«, sagte ich.
»Das hoffe ich. Was ist denn mit der Turteltaube passiert?«, fragte er mit einem Nicken in Richtung der hässlichen Lücke im Strauchwerk.
»Es hat gebrannt«, sagte ich kurz angebunden. »Aber da gibt es etwas anderes, von dem ich dir erst einmal erzählen muss.« Ich blieb stehen und berichtete Peter von Nells Reitunfall.
Er hätte sein Gepäck auf der Stelle fallen lassen und wäre nach Salisbury gelaufen, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass seine Schwester in guten Händen war und dass sie seinen Besuch sicher mehr schätzen würde, wenn nicht mehr so viele Leute um sie herum wären.
Er schaute zu den Hürden und schüttelte den Kopf, in einer Mischung aus Missbilligung und Bewunderung. »Meine Schwester geht wirklich keiner Herausforderung aus dem Weg«, sagte er.
»Ich wette mit dir, dass sie nicht lange im Krankenhaus bleibt.« Er nahm meinen Arm. »Also, hinein ins Trockene.«
Giddings stand zur Begrüßung bereit, als
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