Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
Schweigegelübde der Dienstboten und fragte, was geschehen sei.
Ich starrte sie an. Wie um alles in der Welt hatte sie nicht mitbekommen können, was geschehen war? Nur Oliver war die Geduld in Person.
»Miss Harris wurde von ihrem Pferd abgeworfen«, sagte er. »Man hat sie ins Krankenhaus gebracht.«
»Miss Harris, abgeworfen?«, sagte die Frau.
»Wie schrecklich.« Sie schwieg eine Weile und fügte dann hinzu: »Ich werde eine Kerze für sie anzünden.«
Oliver dankte ihr, zog ein weißes Taschentuch aus seiner Jacke und reichte es mir. »Warum rufen Sie nicht zu Hause an, Lori?«, schlug er vor.
»Es hilft Ihnen sicher, wenn Sie die Stimmen Ihrer Söhne hören.«
»Meine Jungen …« Ich holte ein paar Mal tief Luft, bekam einen Schluckauf, putzte mir die Nase und wischte mir über die Augen. »Das ist eine großartige Idee. Kommen Sie allein zurecht?«
Er nickte. »Ich bleibe am Telefon und unterrichte Sie, sobald ich etwas Neues höre.«
Dankbar drückte ich seine Hand. »Ich beneide das Mädchen, das Sie einmal heiraten wird, Oliver. Wenn Sie mich und Bill mal besuchen, werde ich Sie auf jeden Fall mit unserem Kindermädchen bekannt machen. Sie hat auch ein Herz aus Gold, genau wie Sie.«
Oliver errötete bis unter die Haarwurzeln, brachte aber immerhin ein schüchternes Lächeln zustande. »Ich nehme Sie vielleicht beim Wort.
Ein Kindermädchen in der Familie könnte sich als sehr nützlich erweisen.«
Ich warf ihm einen aufmunternden Blick zu und half dem Dienstmädchen, eine Decke erneut zu falten, die sie fallen gelassen hatte. Dabei vergaß ich Dimitys wichtigste Regel: Mische dich niemals in die Arbeiten des Personals ein. Meine Hilfe schien der Frau in der Tat sehr peinlich zu sein, sie murmelte ein paar Dankesworte und hastete mit ihrer Last davon.
»Lassen Sie es bloß nicht Giddings sehen, wenn Sie dem Personal helfen«, erinnerte auch Oliver mich jetzt. »Er verdächtigt die Angestellten ohnehin immer der Nachlässigkeit.«
»Das tut mir leid«, sagte ich. »Das nächste Mal denke ich daran, dass ich verwöhnt werden muss.« Ich war schon auf dem Weg die Treppe hinauf, als ich mich noch einmal zu Oliver umdrehte. »Claudia war großartig, nicht wahr?«
»Sie wollte immer Ärztin werden«, erwiderte Oliver. »Als ich klein war, musste ich mich immer von ihr verbinden lassen, zur Übung. Ich habe manch einen heißen Sommertag eingewickelt wie eine Mumie verbracht.«
»Warum ist sie es nicht geworden?«, fragte ich.
»Ein umtriebiges Sozialleben lässt sich schwer mit dem Medizinstudium vereinen«, sagte Oliver. »Und man muss sozial sogar sehr umtriebig sein, wenn man gut heiraten will. Nun, da sie gut geheiratet hat, geht es in der Hauptsache um die Karriere ihres Mannes. Was glauben Sie, was er sagen würde, wenn sie plötzlich auf die Idee kä me, sich um ihren eigenen Beruf zu kümmern?«
»Vielleicht: ›Viel Glück, Liebling‹?«, schlug ich vor. »Nein, eher nicht. Trotzdem ist es schade. Sie war sehr beeindruckend.« Ich nickte Oliver zu und stieg die Stufen hinauf. In meine neue Hochachtung für Claudia mischte sich Mitleid.
Als wir alle in Panik geraten waren, hatte sie einen kühlen Kopf behalten. Sie hatte daran gedacht, Nell warm zu halten und ihren Schal zu lösen. Mit ihrer durchdringenden Stimme, die mich im Salon so gestört hatte, hatte sie Nell aus dem dunklen Brunnen der Ohnmacht geholt.
Claudia verfügte offenbar über die gesunden Instinkte und die raschen Reflexe, die man brauchte, wenn es darum ging, jemanden zu retten. Es machte mich traurig, dass sie all ihre Talente ausschließlich dazu eingesetzt hatte, sich eine gute Partie zu suchen. Ich fragte mich, ob es sie auch traurig machte.
Olivers beruhigende Worte und meine eigenen Überlegungen hatten mich für den Augenblick von dem Schock abgelenkt, den ich beim Anblick von Nells schrecklichem Sturz erlitten hatte, aber als ich Annelise per Handy erreicht hatte, verlor ich beinahe wieder die Fassung.
»Ihr seid wo? «, fragte ich und ließ mich auf die Bettkante fallen.
»In den Stallungen von Anscombe Manor«, wiederholte sie. »Es ist Samstag, Lori. Die Reitstunden der Zwillinge, erinnern Sie sich?«
»Reitstunden«, murmelte ich und befahl mir, mich zu beruhigen. Die Reitstunden meiner Söhne bestanden aus ein paar Runden auf einem alten und ungemein sanften Pony, das von Kit im Schritttempo über eine strohbedeckte Koppel geführt wurde. Es war nicht gerade das Kentucky Derby.
Annelise hatte
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