Tante Dimity und der unbekannte Moerder
was sich so nannte – umschloss einen mehr oder weniger rechteckigen Rasen, der am Rand von einem Band aus Pflastersteinen eingefasst war und an einem Ende von einem keltischen Kreuz geschmückt wurde, das als Kriegerdenkmal diente.
Als wir über die Buckelbrücke rumpelten, konnte ich erkennen, dass der Platz verlassen war. Niemand schien Lust zu haben, ins Freie zu gehen und die Frühlingssonne zu genießen.
Ich fuhr vorbei am Lebensmittelladen, dem so genannten Emporium, am Peacock’s Pub und am Wysteria Lodge, wo sich auch Bills Kanzlei befand, und hielt für einen Moment vor dem Crabtree Cottage, das an der nordöstlichen Ecke des Platzes gleich neben dem Pub lag. Bis auf ein an der Vordertür angebrachtes Schild mit der Aufschrift BETRETEN VERBOTEN wirkte es unverändert.
»Der Tatort«, merkte Nicholas mit dem Anlass entsprechend gedämpfter Stimme an.
»Reges Treiben herrscht hier ja nicht gerade«, meinte ich.
»Ich könnte mir vorstellen, dass die Spurenfahnder das Unterste zuoberst gekehrt haben«, brummte Nicholas.
Wie weit die Ermittlungen auch gediehen sein mochten, wenigstens kümmerte sich jemand um die Geranien. Die blutroten Blüten sahen genauso atemberaubend aus wie Ende Dezember und schaukelten sanft in ihren an der Decke hängenden Töpfen, als wären sie soeben gegossen worden. Ich spähte mit gerecktem Hals durchs Fenster, vermochte aber hinter den Mosaikscheiben kein Gesicht zu entdecken.
Eine Linkskurve brachte uns in die Saint George’s Lane. Ich zeigte Nicholas das alte Schulhaus, das jetzt als Rathaus diente, und Mr Wetherheads Häuschen, das früher die Dienstwohnung des Schulmeisters gewesen war. Beide Gebäude waren für mich mit Erinnerungen verbunden. Unwillkürlich fragte ich mich, inwieweit sich mein Bild von der Vergangenheit ändern würde, falls sich herausstellte, dass eines dieser malerischen Gebäude einen Mörder beherbergte.
Meine liebsten Erinnerungen aber barg das Pfarrhaus. Umgeben von unseren Freunden, Verwandten und hunderten von blauen Schwertlilien hatten Bill und ich in diesem weitläufigen zweistöckigen Gebäude unsere Hochzeit gefeiert.
Mit einem versonnenen Lächeln lenkte ich den Rover auf den mit Kies bedeckten Parkplatz und folgte Nicholas ins Haus.
Lilian Bunting hatte allem Anschein nach beschlossen, dass das Mittagessen etwas Besonderes werden sollte. Das Esszimmer mit seinen gro ßen Fenstern, die auf den Garten und die dahinter liegende St. George’s Lane gingen, war hergerichtet wie für eine Hochzeit. Auf dem Tisch war eine weiße Leinendecke ausgebreitet, und neben den zweitbesten Porzellantellern der Buntings lag edles altes Silberbesteck. In der Mitte zog eine Vase aus geschliffenem Glas, gefüllt mit leuchtend gelben Tulpen, alle Blicke auf sich.
Lilians ernste Miene lenkte jedoch vom Glanz der Tafel ab. »Teddy weigert sich, mit uns zu essen«, verkündete sie. »Er sagt, er hätte keinen Appetit. Dabei hat er schon beim Frühstück praktisch nichts zu sich genommen.«
»Lass mich mit ihm sprechen«, erbot sich Nicholas und verschwand im Nebenzimmer.
»Und ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen«, sagte ich zu Lilian und erzählte ihr von unserem Plan, Informationen über den Mord an Mrs Hooper zu sammeln. »Es kann sein, dass wir am Ende gar nichts rausfinden«, schränkte ich ein, »aber das ist immer noch besser, als die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun.«
»Weniger als die Polizei werden Sie jedenfalls nicht erreichen«, meinte Lilian. »Und Nicky kann einfach gut mit den Menschen umgehen.«
»Das habe ich schon gemerkt.« Ich blickte auf die reich gedeckte Tafel und beschloss, Lilian eine kleine Lüge aufzutischen, in der Hoffnung, sie noch etwas mehr aufzumuntern. »Ich freue mich schon riesig auf Ihr Essen. Drüben in den Staaten kann man es sich ja auch gut gehen lassen, aber ich habe doch das eine oder andere vermisst, und dabei standen Ihre Kochkünste ziemlich weit oben auf der Liste.«
»Ach, übertreiben Sie nicht, Lori«, erwiderte Lilian, doch die Art und Weise, wie sie das Kinn reckte, verriet mir, dass ich mein Ziel erreicht hatte.
Selbst an seinen besten Tagen war Reverend Theodore Bunting nicht unbedingt ein Sonnenstrahl – sein langes Gesicht, die würdevolle Hakennase und die traurigen grauen Augen passten eher zu Beerdigungen als zu Hochzeiten –, aber so niedergeschlagen wie heute hatte ich ihn noch nie erlebt. Seine Schultern hingen schlaff herunter, sein Stehkragen war verrutscht
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