Tante Dimity und der unbekannte Moerder
Unsere Suche nach der Wahrheit ging ihm näher, als ich gedacht hatte. Während ich nur leise Zweifel an seinen Motiven gehegt hatte, hatte er sein Verhalten schonungslos hinterfragt, mit dem Ergebnis, dass er sich selbst zutiefst verachtete. Jetzt schämte ich mich wegen meiner Zweifel, und obwohl ich selbst unsere Ermittlung unbedingt fortsetzen wollte, konnte ich es nicht auf seine Kosten tun.
»Wenn du willst, hören wir auf«, bot ich ihm an. »Wir können Peggy einfach der Polizei überlassen.«
»Der Polizei?« Nicholas stieß ein hohles Lachen aus. »Wir zwei haben in vier Tagen mehr herausgefunden als die in zwei Wochen. Um wenigstens irgendwas vorweisen zu können, haben sie Kit Smith ins Visier genommen, obwohl, soweit ich das beurteilen kann, von allen Engländern vermutlich nur noch die Königin weniger als Mordverdächtige in Frage kommt als dieser Mann.« Mit einem resignierten Seufzer zog er die Schultern gegen den Wind hoch. »Nein, Lori, da müssen wir durch. Da muss ich durch.«
So heftig es mich auch weiter zum Friedhof zog, war mir doch klar, dass kein Weg dorthin führte, solange es mir nicht gelang, meinem Freund Mut zuzusprechen.
»Hör mir mal gut zu, Nicholas.« Ich hob die Hand und strich ihm das Haar aus dem Gesicht.
»Du magst dich vielleicht für einen Schleimer halten, der die Leute manipuliert, aber da möchte ich dir widersprechen. Meine Söhne haben was gegen Schleimer, und nach dir sind sie total verrückt.« Ich sah ihm fest in die Augen. »Und Ruth und Louise sind auch auf Draht, was Menschenkenntnis angeht. Für sie bist du das Gelbe vom Ei.«
»Das Gelbe vom Ei?« Um seine Lippen flackerte die Ahnung eines Lächelns.
»Ein toller Hecht«, bestätigte ich. Kurz spähte ich über seine Schulter hinweg zum Pfarrhaus, und mit gesenkter Stimme fügte ich hinzu: »Übrigens – für mich bist du auch was Besonderes, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest.«
Das flackernde Lächeln erstarb. Schon wünschte ich mir, ich hätte nicht auf das Knistern zwischen uns angespielt, und redete hastig weiter.
»Selbst wenn du deinen Charme benutzt, um die Leute zum Sprechen zu bringen, was ist schon dabei? Besser als ein Knüppel ist das allemal.«
»Ein Knüppel wäre wenigstens ehrlich«, murmelte er mit belegter Stimme.
»Er würde aber viel mehr blaue Flecken hinterlassen. Ist dir eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass deine Schuldgefühle den Unterschied zwischen dir und Mrs Hooper ausmachen? Anders als sie hast du nämlich ein Gewissen, und auch wenn diese leise Stimme im Hinterstübchen bisweilen ganz schön lästig sein kann, bin ich lieber mit einem Mann zusammen, der auf sie hört, statt sie zum Schweigen zu bringen.« Ich packte ihn am Arm und schüttelte ihn freundschaftlich. »Du bist nicht annähernd so niederträchtig, wie du meinst, Nicholas. Das sind die wenigsten.«
Er ergriff meine Hand. »Ich frage mich, ob du das immer noch so sehen würdest, wenn …«
»Schau jetzt nicht hin«, unterbrach ich ihn und zog hastig die Hand weg. »Aber ich fürchte, dir steht wieder eine Standpauke bevor.«
Die Tür zur Pfarrei war soeben aufgegangen, und Lilian Bunting war ins Freie getreten. Ihr weiter marineblauer Pullover flatterte im Wind, was sie aber nicht daran hinderte, vor zum Gartentor zu stelzen. Kurz maß sie uns mit einem strengen Blick, dann beschied sie Nicholas in kühlem Ton, dass er dringend am Telefon verlangt wurde.
»Geh ruhig«, sagte ich. »Du findest mich auf dem Friedhof bei Peggy.«
Während Nicholas zum Pfarrhaus trottete, setzte ich mich schleunigst wieder in Bewegung, bevor Lilian mich ins Gebet nehmen konnte.
Als ich den Friedhof erreichte, konnte ich niemanden bei Prunella Hoopers Grab entdecken.
Aber ein Blick über die Mauer verriet mir, dass ein frischer Blumenstrauß zu den anderen hinzugekommen war. Bloß wo mochte Peggy Taxman stecken? In diesem Moment klatschten die ersten fetten Tropfen auf die Cellophanhülle um die Blumen, und ich beschloss, mich vor der drohenden Sintflut in die Kirche zu retten. Nicholas würde mich dort bestimmt als Erstes suchen.
Sekunden bevor es ernsthaft zu gießen anfing, erreichte ich das Südportal. Nach meinem Spurt noch etwas außer Atem, blieb ich stehen, erleichtert, dass ich es gerade noch geschafft hatte.
Dann drückte ich die mit Eisen beschlagene Eichentür mit der Schulter auf. Dank Mr Barlow, der sie regelmäßig ölte, schwang sie leicht und geräuschlos nach innen.
Die Kirche
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