Tante Dimity und der unbekannte Moerder
»Da haben Sie eben den Verdacht auf andere gelenkt.«
Er wandte sich zu ihr um. Sein Gesicht verriet keinerlei Emotionen. »Sie haben sogar die Polizei aufgefordert, Kit Smith zu verhören, oder täusche ich mich da, Mrs Taxman?«
Peggy reckte den Hals, wie um sich dem Kragen zu entwinden, der sie zu ersticken schien.
»Jemand musste ihn verhören, wo doch all diese parfümierten Briefe reinkamen. Da stimmt doch was nicht.«
»Es ist nicht seine Schuld«, widersprach ich.
»Nell ist in Kit verliebt. Er hat versucht, ihr das auszureden, aber sie gibt einfach nicht auf.« Ich machte eine Kunstpause. »Nell ist fünfzehn, Peggy. Sie glaubt, alles zu wissen, was es zu wissen gibt.«
Peggy warf mir einen schmerzlichen Blick zu.
»Deswegen musste sie ja beschützt werden.«
»Aber nicht vor Kit«, beschied ich sie streng, nicht bereit, zurückzuweichen. »Kit kann keiner Fliege was zuleide tun, höchstens sich selbst. Es war ein Fehler von dir, ihn für Nells Schwärmerei verantwortlich zu machen. Du hast ihn von Anfang an falsch beurteilt, und dafür schuldest du ihm zumindest eine Entschuldigung.«
»Und der Polizei schulden Sie eine Erklärung«, ergänzte Nicholas. »Sie müssen sich dazu äu ßern, warum Sie die Beamten auf eine falsche Fährte nach Anscombe Manor gehetzt haben.«
In Peggys Augen flackerte Panik auf. »Das hieße ja, ihnen … alles zu sagen!«
»Die Polizei wird Ihre Aussage streng vertraulich behandeln, wenn sie keinen Bezug zum Verbrechen hat«, versicherte ihr Nicholas. »Und von mir erfährt auch niemand was.« Sein Gesichtsausdruck wurde weicher, und seine Stimme bekam eine melancholische Färbung. »Aber ich würde mir sehr wünschen, dass Sie mit Ihrem Mann sprechen. Er liebt Sie von Herzen, Mrs Taxman. Und ich bin der festen Überzeugung, dass seine Liebe zu Ihnen noch tiefer wird, wenn er weiß, was Sie um seinetwillen durchgemacht haben.«
»Ich … werde darüber nachdenken.« Peggy stand auf. »Sind wir fertig?«
»Fürs Erste. Wir werden Sie vielleicht noch einmal aufsuchen müssen, nachdem wir mit Mr Barlow gesprochen haben.« Nicholas deutete elegant eine Verbeugung an. »Danke, dass Sie mir vertraut haben, Mrs Taxman. Hoffentlich können Sie verstehen, warum das nötig war.«
Peggy schniefte. »Wenn ein Mord zur Tür reinkommt, flicht die Privatsphäre durchs Fenster«, bemerkte sie spitz und wandte sich zur Tür.
»Das weiß jeder Dummkopf.«
»Mrs Taxman!«, rief ihr Nicholas nach.
Peggy drehte sich um.
»Fast hätte ich es vergessen.« Mit gewinnendem Lächeln trat Nicholas einen Schritt auf sie zu. »Meine Tante hat für morgen Abend um sieben eine Sitzung des Osternachtskomitees im alten Schulhaus einberufen. Sie hofft sehr, dass auch Sie und Mr Taxman daran teilnehmen können.«
»Osternachtskomitee?« Peggy runzelte erstaunt die Stirn. »Davon höre ich zum ersten Mal. Aber sagen Sie Ihrer Tante, dass sie auf uns zählen kann. Jasper und ich lassen nie eine Komiteesitzung aus. Einen schönen Tag noch Ihnen beiden. Und benehmen Sie sich ordentlich. In Finch herrscht Anstand. Und ich habe die feste Absicht, dafür zu sorgen, dass das so bleibt.«
Den Kopf stolz gereckt, öffnete sie das Portal und rauschte aus der Kirche.
Peggys Spitze bei ihrem Abgang schmetterte mich nieder, auch wenn ich sie fast dafür bewundern musste. Ihre Beichte, die sie soeben noch zu einem Häufchen Elend hatte schrumpfen lassen, hatte keine nachhaltige Auswirkung auf ihre Streitlust gehabt. Und ich staunte über mich selbst, weil ich inständig hoffte, dass das nie der Fall sein würde. Obwohl es niemanden gab, über den ich mich mehr ärgerte als über diese Frau, war mir doch klar, dass Finch ohne seinen Drachen einfach nicht mehr Finch wäre.
Ich wandte mich wieder zu Nicholas um. Sein Lächeln war erloschen. Mit den Händen in den Manteltaschen stand er da und starrte gedankenverloren die mit Eisen beschlagene Eichentür an.
»Eine Stütze der Gemeinschaft«, murmelte er.
»Ich frage mich nur, wie es ihr ergeht, wenn das alles rauskommt.«
»Peggy wird so lange Feuer spucken, wie sie atmet«, prophezeite ich voller Zuversicht. »Sie ist unverwüstlich – Gott sei Dank.«
Nicholas gestattete sich ein kurzes, gedämpftes Lachen.
»Fehlt dir was?«, fragte ich.
»Ich bin nur etwas betroffen. Aber wer wäre das nicht. Das war ja wirklich eine bewegende Geschichte.«
»Und du hast sie aus ihr rausgekitzelt.« Ich stand auf und streckte mich. Irgendwie kam ich mir vor,
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