Tante Dimity und der unbekannte Moerder
ihm skeptisch in die Augen. »Und das stört dich nicht?«
»Schau mal!« Kit deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen extrem verschmutzten Mann, der am anderen Ende der Weide mit einer Schaufel in der Hand aus einem Entwässerungsgraben geklettert war. »Annelises Bruder, Lucca.«
Ich kannte Lucca. Er war zwanzig Jahre alt, ruhig, fleißig und ungefähr so gebaut wie Michelangelos David. Sein wuscheliges schwarzes Haar umrahmte ein schönes Gesicht, das den Vergleich mit Kit nicht zu scheuen brauchte, und seine Augen waren fast so blau wie Nells.
»Emma hat ihn eingestellt, damit er mir beim Bau einer neuen Entwässerungsanlage hilft. Er wird den ganzen Sommer über bleiben.«
Ich grinste. »Mit anderen Worten: Er wird da sein, wenn Nell aus dem Internat zurückkommt.«
»Genau«, bestätigte Kit.
Nicht jede Stiefmutter würde auf die Idee kommen, einem gut aussehenden jungen Mann Arbeit zu geben, um so ihre Stieftochter von einem anderen abzulenken, doch Emma hatte eindeutig das Gefühl, dass in Zeiten der Verzweiflung verzweifelte Maßnahmen erforderlich waren. Ich bewunderte ihre Kreativität. Auf Dauer würde diese Taktik vielleicht nicht funktionieren
– Kit zu übertrumpfen würde jedem Mann schwerfallen –, aber Luccas kurzfristige Wirkung erschien mir durchaus vielversprechend. Emma hatte den Druck auf Kit gemildert und einen Schutzwall um ihn errichtet. Und mit ihrer eigenen heiteren Gelassenheit glättete sie die Wogen der Erregung in seinem Inneren. Ich hätte meinen Freund keinen besseren Händen überlassen können.
»Hoffentlich hat dir Emma die Schnapsidee, nach Norfolk zu gehen, ausgeredet«, sagte ich.
»Norfolk?« Kit legte den Arm um mich und drückte mich an sich. »Ich liebe Anscombe Manor. Ich liebe meine Arbeit. Ich liebe meine Freunde, und sie lieben mich.« Er drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn. »Wieso sollte ich all das wegen einer gehässigen Frau und einem liebestollen Mädchen aufgeben?«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Zwar nahm ich für mich in Anspruch, Kit von Anfang an verteidigt zu haben, doch in Wahrheit verhielt es sich so, dass ich ihn brauchte. Seine Sanftmut war ein Labsal für meine ungestüme Natur. Sein grundgütiges Wesen leitete mich wie ein Leuchtfeuer durch eine Welt, die bisweilen stockfinster schien. Wenn Kit tatsächlich von Anscombe Manor fortgegangen wäre, hätte er ein klaffendes Loch in meiner Seele zurückgelassen.
Jetzt hatte ich die Gewissheit, dass er bleiben würde, mochte kommen was wolle. Egal ob es Nicholas und mir noch gelang, den Mörder zu stellen, oder ob wir kläglich scheiterten, Kit würde ein Teil meines Lebens bleiben. Mein Herz floss schier über vor Erleichterung.
»Du würdest es nicht wagen, von hier wegzugehen«, brachte ich mit den Tränen kämpfend hervor. »Denn du weißt genau, dass ich dich am Schlafittchen packen und nach Hause zurückzerren würde.«
»Mein wilder Engel«, murmelte er und zerzauste mir das Haar, um gleich wieder die Arme aufs Gatter sinken zu lassen. »Emma hat mir schon erzählt, dass du dein Feuerschwert für mich geschwungen hast.«
»Nicholas hat seines noch viel heftiger geschwungen«, wiegelte ich ab und berichtete ihm in aller Kürze, was wir über die ehrbaren Fincher Bürger herausgefunden hatten. Kit war gerührt, als er erfuhr, dass so viele von seinen Nachbarn trotz Mrs Hoopers niederträchtiger Versuche, seinen Namen anzuschwärzen, weiter an ihn geglaubt hatten.
Peggys Geschichte hob ich für den Schluss auf.
Nicholas hatte Peggy zwar Stillschweigen versprochen, aber ich weigerte mich, ausgerechnet Kit die Wahrheit vorzuenthalten. Schließlich war er von Peggy Taxman verfolgt und in den Schmutz gezogen worden. Er verdiente es, den Grund dafür zu erfahren.
Seine Reaktion war typisch für ihn. »Was für eine verblüffende Frau!«, staunte er. »Dass sie sich nach so vielen schweren Tiefschlägen ein derart reiches und erfülltes Leben aufgebaut hat
… Wie tapfer!«
So viel Großzügigkeit hielt ich nun wirklich für übertrieben. Ich erinnerte ihn daran, dass Peggy bereit gewesen war, ihn den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, um so die eigene Haut zu retten.
»Sie hatte einfach Angst«, sagte er schlicht.
»Sie wurde von einer wahrhaft niederträchtigen Frau manipuliert und erpresst. Da kann ich ihr nicht böse sein.«
»Du kannst niemandem böse sein«, neckte ich ihn.
Er lächelte mich liebevoll an. »Danke, Lori, für …«
»Bedank dich nicht bei mir«, wehrte
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